DAS Sachbuch nicht nur des Jahres 2021! Herausragend, brillant, erschütternd. Update

Nils Melzer Auslieferung Assanges rechtlich gar nicht zulässigDer Fall Julian Assange: Geschichte einer Verfolgung
Der spektakuläre Report des UNO-Sonderberichterstatters für Folter
NILS MELZER

Herausragend die Details und Zusammenhänge
Brillant die juristische Klarheit und Verständlichket
Erschütternd was von Pressefreiheit und Menschenrechten in unseren westlichen Demokratie nach der Buchlektüre übrig bleibt.

Leider kommt mein persönlicher Bestseller auf dem deutschen Verkaufsrang nur auf Platz 15412 (Angaben Piper-Verlag). DAS können SIE ändern. Kaufen Sie dieses Buch nicht nur für sich, sondern auch als Geschenk für Freunde wie für alle, denen Transparenz, Pressefreiheit und Rechtsstaatlichkeit als Grundpfeiler einer demokratischen Gesellschaft noch etwas bedeuten.

Im WDR wird leider erst nach Mitternacht am 27.01. um 00:40 Uhr folgende Sendung ausgestrahlt:

studioM: Julian Assange – Staatsfeind oder Journalist?

Unter anderem mit den Gästen: Nils Melzer (UN-Sonderberichterstatter über Folter), John Kornblum (ehemaliger US-Botschafter in Deutschland), Prof. Herta Däubler-Gmelin (Bundesjustizministerin a.D.) und Constanze Kurz (Sprecherin des Chaos Computer Clubs)

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Die Wannseekonferenz – Plädoyer für eine Erinnerungskultur der Zukunft (Update 3)

TV-Remake im ZDF zur Prime-Time:
Die Wannseekonferenz – Die „Endlösung der Judenfrage“

Plädoyer für eine Erinnerungskultur der Zukunft

Änderungen / Einfügen des Updates in Rot

WK Cover alleVor 80 Jahren, am 20. Januar 1942 trafen sich im jetzigen Haus der Wannseekonferenz 15 Vertreter der Ministerialbürokratie und der SS-Einheiten unter der Leitung des SS-Gruppenführers Reinhard Heyrdich, der in dem von Adolf Eichmann (Heydrichs Referent für „Judenangelegenheiten“) geführten Protokoll festhalten ließ, er sei von Göring zum „Beauftragten für die Vorbereitung der Endlösung der europäischen Judenfrage“ ernannt worden und dass die Federführung beim „Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei“ (Himmler) liegen würde. Ziel der Konferenz sei es, die „Endlösung der Judenfrage“ administrativ und organisatorisch zu besprechen, Zuständigkeiten festzulegen und die Opfergruppen (Halbjuden, Vierteljuden, Mischehen, arbeitsfähige Juden etc.) zu definieren, auch um sicherzustellen, dass niemand der industriell geplanten Massentötung entgehen kann.

Das von Heydrich überarbeitete Ergebnisprotokoll wurde als „Geheime Reichssache“ gezeichnet. Von den 30 Kopien ist lediglich das 16. Exemplar des Unterstaatssekretärs im Auswärtigen Amt, Martin Luther, gefunden worden.

Für die Unterhaltungsindustrie und das öffentlich-rechtliche Fernsehen ist dieser Gedenktag ein Anlass, um mit einem Spielfilm-Remake wie einer anschließenden Dokumentation an die Wannseekonferenz zu erinnern. Es ist müßig darüber zu streiten, welche Verfilmung besser gelungen ist: Die Produktion von Heinz Schirk aus dem Jahr 1984 , oder die britische Verfilmung aus dem Jahr 2001 von Frank Pierson oder die aktuelle Verfilmung von Matti Geschonneck 2022. Wichtig erscheint der Hinweis, dass die aktuelle Ausstrahlung von Geschonneck am Montag, dem 24.1.22 um 20.15 Uhr im ZDF nicht nur zur Prime-Time erfolgt, sondern auch in den Medien (TV, Print und Radio) sehr stark beworben wurde, jedoch leider mit keinem Wort auf die anderen Filme hingewiesen worden ist1.

So wichtig es für die gegenwärtige Erinnerungskultur auch ist, durch Spielfilme dokumentarischen Charakters an die geplante Ermordung von 11 Millionen Juden und andere Ethnien zu erinnern, so stellt sich auch die Frage, wie das Erinnern über erste Betroffenheitsgefühle hinaus nachhaltig und dauerhaft vermittelt werden kann. Was gerade vor dem Hintergrund „rechtspopulistischer“ Strömungen wichtiger erscheint als je zuvor, ist die Bildung einer „aktiven AusrufungszeiichenErinnerungskultur“, einer Erinnerungskultur der Zukunft, oder anders formuliert / gefragt: Wie müssten an historischen Ereignissen angelegte Spielfilme konzipiert sein, um die Zuschauer zu befähigen, aus zurückliegender Geschichte für die Zukunft zu lernen. Im Idealfall wäre das Resultat unserer „Unterhaltungsindustrie“ ein Spielfilm, der als Frühwarnsystem nicht nur alle Alarmglocken auslöst, weil die wachgerufenen Erinnerungen erkennen lassen, dass sich Zurückgeglaubtes zu wiederholen droht. Anlass für fundierte, berechtigte Begründungen gibt es mehr als genug: Eine Studie der Körber-Stiftung unter dem Titel „Demokratie in der Krise“ stellt einen massiven Vertrauensverlust in die etablierte politische Entscheidungsfindung fest:

Nur 50 Prozent der Bundesbürger/-innen haben Vertrauen in die Demokratie, 30 Prozent vertrauen ihr weniger bis gar nicht. Auch für öffentliche Einrichtungen und Institutionen ist das Vertrauen nicht sonderlich stark ausgeprägt: Lediglich 32 Prozent der Befragten haben Vertrauen in Bundestag und Bundesregierung, nur 20 Prozent vertrauen Parteien.“

Ob – wie in der Studie empfohlen – „Bürgerräte“ daran etwas ändern werden, kann und muss bezweifelt werden. Konkreter wird der Jurist Joachim Wagner, der in seinem Buch AfD-Richter, -Staatsanwälte und -Schöffen: eine Gefahr für den Rechtsstaat?“ sehr deutlich veranschaulicht, dass sich der Rechtsextremismus seinen Raum nicht nur in parlamentarischem Debattierclub erobert hat, sondern auch in der Rechtssprechung2.

Zurück zu den Spielfilmadaptionen und der Frage nach ihrem Beitrag für eine zukunftsgerichtete Erinnerungskultur. Die drei genannten Spielfilmadaptionen der Wannseekonferenz vermitteln die Planung des Holocausts als ein zurückliegendes, historisch abgeschlossenes singuläres Ereignis, welches von administrativen Führungskräften mit nüchterner Kalkulation professionell vorbereitet worden ist. Der Abspann über die Verurteilungen und Hinrichtungen bzw. Selbsttötungen unterstreichen dann ein beim Zuschauer entstehendes Gefühl der Genugtuung und damit auch ein falsches Gefühl der Abgeschlossenheit eines Ereignisses, nach dem Motto: Wenigstens sind die Schuldigen einer entsprechenden Bestrafung zugeführt worden. Doch gerade die verkürzte Reduzierung des Blicks auf eine administrative Führungselite greift zu kurz, denn ein Massenmord benötigt nicht nur viele Mittäter und Vollstrecker, sondern auch eine breite Akzeptanz innerhalb der Bevölkerung.

Nur zur Erinnerung: Für die breite Akzeptanzherstellung unter der deutschen Bevölkerung war die unter der Tarnbezeichnung Aktion 3 Anfang November 1941 verkündigte Anordnung des Reichsfinanzministeriums entscheidend, in der festgelegt wurde, wie bei der Deportation der Juden mit deren Vermögen umzugehen sei. Es entstand eine Verwertungsbürokratie, in der alles – von Immobilien über Bekleidungen bis zu alltäglichen Gebrauchsgegenständen – detailliert aufgelistet wurde, um dann die gelisteten Gegenstände „aus nicht-arischem Vermögen“ auf öffentlichen Aktionen feil zu bieten. Die Einnahmen wurden auf 778 Millionen Reichsmark geschätzt. Auf den eigenen Vorteil ausgerichtet interessierte sich niemand für das Schicksal der ursprünglichen jüdischen Besitzer. Im Gegenteil: Die Aktionen befeuerten auch das Denunziantentum. Dem „Finanztod“ der enteigneten Juden folgte dann der physische Tod in den Gaskammern der Konzentrationslager. Immerhin wird im Drehbuch der aktuellen Geschonneck-Verfilmung auch kurz dieser Aspekt erwähnt, während in den begleitenden Dokumentarfilmen zu den Spielfilmadaptionen von 1984 und 2022 dieses Thema unerwähnt bleibt.

Cover AKtion 3Dem MDR ist es zu verdanken, dass am 25. Januar um 22.10 Uhr unter dem Titel Die Versteigerer – Profiteure des Holocaust“ dieses Kapitel näher beleuchtet wird3. Auch vom Filmemacher Michael Verhoeven ist 2008 unter dem irreführenden Titel „Menschliches Versagen“ ein längerer Dokumentarfilm veröffentlicht  worden, der offenbart, wie sehr die Oberfinanzdirektionen der BRD versuchten, dem Ausstellungsorganisator Wolfgang Dreßen den Aktenzugang zu den Enteignungsakten zu verweigern – und das 60 Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkriegs.4 Nachdem es Dreßen dennoch gelungen war, Material für eine Wanderausstellung zu organisieren, verweigerte ihm der Rektor der Humboldt-Uni in Berlin, diese Ausstellung in der Eingangshalle jungen Studierenden zu präsentieren. Dreßen mußte in das Rathaus von Kreuzberg ausweichen5.

Nun ist das Vermittlungsspektrum von Spielfilmen immer begrenzt, doch umso wichtiger erscheint es, in begleitenden Dokumentarfilmen inhaltlich wenigstens die Saat für eine Erinnerungskultur der Zukunft zu legen6.

Wie erinnern wir uns? Genauer: Wie sollen wir uns erinnern? Diese Frage wird von den Programmmachern der Unterhaltungsindustrie maßgeblich beeinflusst.
Als Ende der 70er Jahre der amerikanische Vierteiler über den Holocaust als Mini-Serie ins Fernsehen kam, gingen dieser Entscheidung harte Auseinandersetzungen voraus, die in dem sehenswerten Film „Wie der Holocaust ins Fernsehen kam“ tiefe Einblicke in die Abgründe der Einstellungshaltungen zahlreicher beteiligter Führungskräfte gewährt – und DAS Ende der 70er Jahre.

Anlässlich des heutigen Datums (24.1.22.) hat auch der Moderator Michael Friedmann den Historiker Norbert Frei zu einem Gespräch über die Bedeutung des Holocaust eingeladen. Auch wenn die Antworten von Norbert Frei wenig überzeugen konnten (beschämende Ausflüchte)7, so war die Ausgangsfragestellung nach der heutigen Anfälligkeit für Menschenverachtung von elementarer Bedeutung. Und auf die Frage, ob sich heute Auschwitz wiederholen könne, da werden hoffentlich nicht wenige an die Flüchtlingslager denken wie die Vertragsverhandlungen beispielsweise mit der Türkei, um die Flüchtlingskontingente für Deutschland zu beschränken.

Über die Einstellungshaltungen hat der österreichische Professor Oliver Rathkolb die Neue Autoritarismus-Forschung ins Leben gerufen. Seine Untersuchungen zu Studierenden wie zu den Haltungen in den Bevölkerungen der osteuropäischen Mitgliedsländer sind alarmierend. Von den Medien sind seine Forschungsergebnisse unberücksichtigt geblieben, offensichtlich weil BLOCKbuster wie „Er ist wieder da“ höhere Einfaltquoten garantieren. Der Ausnahmeschauspieler Lars Eidinger wurde einmal gefragt, ob es für ihn Rollen geben würde, die er nicht annehmen würde. Seine Antwort: Komödien über das Nazi-Regime.

Um nicht missverstanden zu werden: Auch die neue Verfilmung der Wannseekonferenz ist wie die beiden älteren Verfilmungen schon deshalb äußerst sehenswert, weil sie vergegenwärtigen, mit welchen Managementmethoden die industriell geplante und durchgeführte Massentötung präzise vorbereitet wurde. Die Optimierung jener Kosten-Nutzen-Analysen, die heute genauso zum Rüstzeug der neoliberalen „Reformpolitik“ gehört wie die Ausmachung und Anprangerung neuer Feindbilder („Sozialschmarotzer“, Flüchtlinge etc.), wird nicht hinterfragt. Wie anhand der „Endlösung der Judenfrage“ nachgewiesen wurde, ist der Genozid ein Prozess, der einen langjährigen Vorlauf hat8. Am Anfang steht die Konstruktion eines Feindbildes, ihre umfassende Ausgrenzung und Stigmatisierung, ihre Enteignung und anschließend ihre Deportation und die Ermordung.
Ob sich solche Ereignisse quasi musterhaft auch in der Leistungsgesellschaft marktkonformer Demokratien wiederholen können? Geheimprotokolle gibt es jedenfalls heute mehr als wir erahnen dürfen / sollen, denn die Informationsfreiheit steht zwar auf dem Papier, gilt jedoch für privatrechtliche „Beratungsagenturen“ nicht. Natürlich haben auch die Leistungsträger gelernt: Konzentrationslager werden heute nicht unterhalten. Satt  dessen wird „gentrifiziert“ bzw. die von Armut betroffenen wohin auch immer verdrängt und das immer frühere Ableben wird individualisiert. Massentötungen finden nicht mehr statt, aber die Anzahl „herrenloser Leichen“ hat mit der Einführung von Hartz IV starkt zugenommen. Und was die Menschenverachtung betrifft, da ist es Smiley Wut - Kopieerwähnenswert, dass sich hochgradige asoziale Psychopathen wie Gerhard Schröder, Wolfgang Clement, Thilo Sarrazin und Hubertus Heil wie viele andere Schreibtischtäter damit rühmen, innerhalb Europas den größten Niedriglohnsektor „geschaffen“ zu haben, aber die Frage, wo die von Niedriglohn betroffenen Menschen wohnen sollen, vorsätzlich ausgeklammert wurde. Die Terminologie spricht Bände: Es gebt hier nicht um die Übernahme von Wohn- bzw. Mietkosten, sondern lediglich um angemessene Kosten für die „Unterkunft“. Und diese sind so gering kalkuliert, das jeder 5. Hartz IV Haushalt durchschnittlich 80€ von seinem ohnehin knapp bemessenen Regelsatz abzweigen muss, um seine Mietkosten bezahlen zu können, wie der Regierungsantwort auf eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag zu entnehmen ist. Wer solche Politik zu verantworten und beratend mitgetragen hat, der muss sich vorhalten lassen, von der gleichen menschenverachtenden Einstellungshaltung befallen zu sein, wie die Teilnehmer der Wannseekonferenz.

Bleibt abschließend die Frage, von wie vielen Menschen dieses Remake wohl gesehen worden ist. Der amerikanische Vier-Teiler Holocaust war 1978 ein regelrechter Straßenfeger. Ob damalige Einschaltquoten jetzt auch erreichbar sind? Vermutlich nicht einmal annähernd, was keineswegs auf die Qualität des Spielfilms zurückzuführen ist. Aber 1978 stand auch der politische Bildungsauftrag im Vordergrund der Programmverantwortlichen. 1984 kam es jedoch zur Einführung des Privatfernsehens und mit dem dualen System wurde die Zentraloffensive auf das bundesrepublikanische Großhirn eingeläutet: Zuerst wird die mediale Wahrnehmung privatisiert, dann der soziale Wohnungsbau, die Infrastruktur, die Bildung und die Gesundheit – nicht zu vergessen der Repräsentationsanspruch der Demokratie. Seitdem ist der politische Bildungsauftrag der Jagd nach Einfaltquoten geopfert worden. Daran mag auch der Hinweis auf die zeitlich limitierte Verfügbarkeit (warum eigentlich?) in den Mediatheken der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten nichts wesentlich ändern.

Thomas Rudek, Jan. 2022

weitere Filmbesprechungen auf diesem Portal:
Insider (USA 1999) / Night Moves (USA 2013)

1Die Britische Fassung, herausragend mit Kenneth Branagh und Colin Firth besetzt, wurde immerhin auf ARTE zur Prime-Time ausgestrahlt, während der Film aus dem Jahr 1984 anlässlich des 75. Gedenkjahres nur auf Phoenix am 27. Januar 2018 gezeigt wurde. Beide Filme wurden kaum beworben.

3Diese Dokumentation wurde bereits 2018 im Ersten gezeigt – allerdings NACH Mitternacht. Auch die Frage nach dem Ausstrahlungstermin bzw. der Sendezeit sagt vieles über die Einstellungshaltung der Führungskräfte bei der ARD aus.

4Leider ist dieser Dokumentarfilm nicht mehr im Handel erhältlich. Interessierte sollten versuchen, den Film über den Bibliotheksverbund auszuleihen.

6Ob das für die aktuelle Spielfilmversion gelungen ist, kann jeder für sich selbst beantworten. Die dokumentarischen Werkstattnotizen zu der Verfilmung aus dem Jahr 1984 sind auch deshalb sehr sehenswert, weil dort der stellvertretende Chefankläger der Nürnberger Prozesse Robert Kempner interviewt wurde.

7So ist es nicht nachzuvollziehen, warum Frei den Vorschlag ablehnt, Schulen zu verpflichten, allen Schülern den Besuch eines Konzentrationslagers bzw. Gedenkstätte zu ermöglichen. Diese Besuche sollten didaktisch vorbereitet wie nachbesprochen werden.

8s.a. „Hitler war kein Betriebsunfall“ von dem Historiker Fritz Fischer („Griff nach der Weltmacht“)

 

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Fragmentarische Anmerkungen zur Wahl 2021 oder die Optimierung der Scheindemokratie

Fragmentarische Anmerkungen zur Wahl 2021 oder
die Optimierung der Scheindemokratie
Update 1

All jene Kräfte, die sich im weitesten Sinne dem rechten Spektrum zuordnen lassen, werden trotz massiver Stimmenverluste bei der CDU die Sektkorken knallen lassen, denn ein wichtiges Ziel im „Klassenkampf“ wurde erreicht und wird für immer und ewig mit dem ausgedienten Spitzenkandidaten der CDU/CSU-Fraktion Armin Laschet verbunden werden: Der personifizierte Klassenfeind, die Links-Partei, konnte durch die Rote-Socken- und Angst-Kampagne von Laschet vor einer kommunistischen Verbots-Diktatur unter 5% gedrückt werden. Dass die Links-Partei trotz eines Stimmenanteils von 4,9% im Bundestag vertreten sein wird, ist nur den 3 Direktmandaten zu verdanken. Nach der Grundmandatsklausel im Bundeswahlgesetz (§6 Abs.3 Bundeswahlgesetz) kann eine Partei, die mindestens 3 Direktmandate gewinnt, in Fraktionsstärke in den Bundestag einziehen. Gewiss haben pareiinterne Auseinandersetzungen in der Links-Partei oder auch die interne Diskreditierung von Sarah Wagenknecht ihren Anteil am schlechten Wahlergebnis. Doch das Negativ-Campaigning von Laschet wie die gezielte Ausgrenzung von Gruppen, die zur Wählerklientel der Links-Partei gehören (s.u.), dürften neben der linksfeindlichen Einstellungshaltung in den Chefetagen der großen Medienhäuser ausschlaggebend für das schlechte Abschneider der Links-Partei gewesen sein.

Im Wahl-Debakel um mögliche Koalitionen wie um die „Königsmacher“ – ein demokratiefeindlicher Sprachgebrauch, der deutlich nicht nur die Einstellungshaltung der Meinungsmacher, sondern auch deren Wunsch nach einer starken Regentschaft, nach einem starken Führer, hinter dem alle geschlossen stehen, zum Ausdruck bringt – geht die systemrelevante Kernfrage nach dem Repräsentationsanspruch der parlamentarischen Demokratie wieder einmal verloren. Nichtwähler wie jene Wählerstimmen, die an der 5% Hürde gescheitert sind, spielen keine Rolle. Statt dessen wird durch die prozentuale Aufschlüsselung der abgegebenen und gültigen Stimmen der irreführende Eindruck erweckt, dass dieses Wahlergebnis den Volkswillen repräsentiert. Um dieser hochgradigen Manipulation in Birneder öffentlichen Berichterstattung entgegenzuwirken, müssten die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten wie die Wahlleitungen verpflichtet werden, bei der Berechnung der Stimmenanteile als Bezugsgröße nicht nur die abgegebenen Wählerstimmen zu berücksichtigen, sondern als Demokratie-und Repräsentationsindex die Zahl aller Wahlberechtigten unter Einbeziehung der verlorenen Wählerstimmen, deren Interessen aufgrund der 5%-Hürde im Parlament keine Vertretung gefunden haben. Erst wenn die Kennziffer aller Wahlberechtigten bei den Berechnungen zur Grundlage erklärt werden würde, erst dann wäre klar erkennbar, dass das Bild von „einer Koalition der Mitte“ (Christian Lindner, FDP) nichts anderes ist als ein verlogenes Trugbild.

Aber warum sollten sich die etablierten Parteien im postfaktischen Zeitalter um eine ehrliche, wahrhaftige Berichterstattung über den tatsächlichen Wahlausgang bemühen? Obwohl der Repräsentationsindex über ein Drittel der Wahlberechtigten nicht erfasst, hält der Bundestag im europäischen Vergleich die meisten Mandate und jeder Mandatsträger erhält eine monatliche „Abgeordnetenentschädigung“ in Höhe von 10.012,89 €, die zwar steuerpflichtig, aber von Rentenbeiträgen befreit ist. Hinzu kommt noch eine steuerfreie Aufwandsentschädigung in Höhe von monatlich 4560€. Die Mitarbeiter der Abgeordneten werden davon übrigens nicht bezahlt. Nur zum repräsentativen Vergleich: Nach Angaben von Statista lag im Jahr 2020 das monatliche Durchschnittsgehalt eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers bei 3975 € brutto. Zurück zu den Verlierern, jenem guten Drittel, die vom parlamentarischen System nicht repräsentiert werden.Auch wenn die Motivlagen für das Nicht-Wählen unterschiedlich ausfallen, so steht unterdessen fest, dass der Anteil von Nicht-Wählern unter den von Armut betroffenen Menschen besonders hoch ist1. In diesem Kontext ist den Regierenden ein regelrechter Clou gelungen: Wenige Wochen vor der Wahl ist Grundsicherungsempfängern und Hartz IV Betroffenen per Bescheid mitgeteilt worden, dass ihr Regelsatz um 3€ „erhöht“ wird. Noch deutlicher kann Verachtung wie das Gefühl, unerwünscht zu sein, nicht zum Ausdruck gebracht werden. Nicht-Wähler werden nicht nur billigend und schweigend in Kauf Ausrufungszeiichengenommen. Sie werden mit Vorsatz produziert. Der Erklärungsansatz ist einfach wie simpel: Wer „uns“ nicht wählt, dessen Interessen müssen auch nicht vertreten werden. Entsprechend wird das Thema einer „Wahlpflicht“ in den Massenmedien zu einem absoluten Tabu erklärt und nicht ernsthaft diskutiert.
Auf einer Veranstaltung einer parteinahen Stiftung über den „Nichtwähler – das unbekannte Wesen“ wurde die damalige Generalsekretärin der SPD, Katarina Barley, mit dem Hinweis konfrontiert, dass in den Demokratien mit Wahlpflicht die Einkommenskluft zwischen reich und arm geringer ausfällt als in Ländern ohne Wahlpflicht, weil in den Ländern mit Wahlpflicht die politischen Parteien regelrecht gezwungen sind, sich um alle Wähler zu bemühen. Barley erwiderte spöttisch mit der üblichen arroganten Selbstgefälligkeit, der Diskutant könne ja versuchen, einen Volksentscheid zur Einführung einer Wahlpflicht durchzuführen – wohl wissend, dass Themen mit „Verpflichtungen“ unpopulär und mit direktdemokratischen Instrumenten nicht durchsetzungsfähig sind. Der angesprochene Diskutant antwortete schlagfertig: Erfolgreicher wäre gewiss ein Volksbegehren, das vorsieht, die Höhe der Diäten an die Höhe der Wahlbeteiligung zu koppeln – nach dem Motto: Leisten die Volksvertreter ihre Arbeit und motivieren viele Wähler zum Urnengang, dann fallen die Diäten hoch aus. Ist die Wahlbeteiligung hingegen niedrig, dann fallen die Diäten für die parlamentarischen „Minderleister“ entsprechend niedrig aus. Die Leser dürfen raten, wer im Saal die Lacher auf seiner Seite hatte. Natürlich wird es weder zu einer Wahlpflicht kommen noch zu einer dynamischen Koppelung der Diäten an die Höhe der Wahlbeteiligung.

Neoliberale Verfechter eines Marktextremismus wie Christian Lindner (FDP) dürften ein anderes Modell favorisieren: Eine Art Wahl-Börse, an dem Unentschlossene wie Nicht-Wähler mit ihrer Wählerstimme handeln und diese schließlich bei entsprechenden Geboten verkaufen und feil bieten können. Wäre das nicht die Vollendung der „marktkonformen“ Demokratie? Smiley Frage

Doch unabhängig von diesen Modellen und Hirngespinsten gibt es zur Beruhigung des linken Gemüts zwei mehr oder weniger positive Nachrichten: In der zweitgrößten Stadt Österreichs, in Graz, hat die Stadträtin Elke Kahl von der kommunistischen Partei Österreichs (KPÖ) die Lokalwahlen gewonnen! Elke Kahls Vertrauensvorsprung kommt nicht von ungefähr: Sie spendet bereits seit Jahren 2/3 ihres Einkommens an Menschen, die von Armut betroffen sind. Ein Beispiel, das Schule machen sollte und gewiss geeignet wäre, um das Image nicht nur der Links-Partei auf Vordermann zu bringen. Mensch stelle sich einmal vor: Es gäbe eine überparteiliche Initiative von Abgeordneten, die von ihren Bezügen einen Betrag spenden, der über dem durchschnittlichen Bruttoverdienst in Deutschland liegt – und das über eine ganze Legislaturperiode.

Smiley ÄrgerDie zweite Nachricht ist leider ein Plazebo: Der Volksentscheid in Berlin zur Enteignung von Wohnungsunternehmen war zwar formell erfolgreich, jedoch inhaltsleer und ist rechtlich nicht bindend, weil die Initiatoren dem Volksentscheid kein Volksgesetz zugrunde gelegt haben! Diese Aufgabe – so die rein appellative Aufforderung der Abstimmung – soll ausgerechnet die Exekutive, also der Berliner Senat übernehmen. Was dabei herauskommt, hat bereits der Berliner Mietendeckel gezeigt. Und so bedarf es keiner prophetischen Fähigkeiten um vorher zu sagen, was geschehen wird. Der Senat wird ein Gesetz erarbeiten, das Abgeordnetenhaus wird das Gesetz diskutieren und verabschieden, die Opposition wie die Immobilienwirtschaft wird gegen das Enteignungsgesetz klagen und das Verfassungsgericht wird dieses Gesetz wie bereits den Mietendeckel kassieren und verwerfen. Währenddessen werden die Mieten weiter steigen. Um einem Missverständnis vorzubeugen: Die Mietenentwicklung bleibt gerade vor dem Hintergrund hoher Inflationsraten das vorrangigste und wichtigste Problem. Ein verfassungsrechtlich kompatibler Ansatz, der darüber hinaus auch den öffentlichen Haushalt nicht belasten würde, ist auch vom Verfasser, der übrigens selbst Mieter bei der Deutschen Wohnen ist, den Initiatoren vorgestellt worden, fand aber weder Gehör noch Berücksichtigung2. Statt dessen wurde das wichtigste und schärfste Instrument, die Volksgesetzgebung, zu einer 0-Nummer pervertiert, indem die wichtigste Funktion, die Macht zur Definition von Rechtsnormen durch die Erarbeitung eines Gesetzes, nicht genutzt wurde. Dabei zeichnet sich die direktdemokratische Volksgesetzgebung vor allem dadurch aus, dass klare rechtliche Lösungen formuliert werden, die im Idealfall frei von Kompromissen sind, während im Rahmen der parlamentarischen Gesetzgebung stets um (nicht selten faule) Kompromisse gerungen wird. Der einzige Rahmen, der auch bei der Entwicklung von Volksgesetzen eingehalten werden muss, ist die Wahrung der verfassungsrechtlich verbrieften Grundrechte. Leider haben die Initiatoren dieses Instrument weder genutzt noch geschärft, was nicht verwundert, wenn man sich mit den Biografien und „Verbandelungen“ der Strippenzieher und Wortführer näher befasst. Daher ist dieser Volksentscheid ein offensichtlicher Plazebo und es ist kaum verständlich,Dollar Sack warum die Journalie um dieses Nebelkerze so viel heiße Luft und Aufmerksamkeit produziert, während wirklich heiße Eisen wie die Schlüsselrolle von Olaf Scholz (SPD) nicht thematisiert werden. Warum der Spitzenkandidat der SPD mit Samthandschuhen behandelt wurde, verwundert vor dem Hintergrund der noch nicht absehbaren Folgen des Wirecard-Skandals. Nur zur Erinnerung: Als von Journalisten der Financial Times die Luftbuchungen aufgedeckt worden waren, hatte die BaFin nichts besseres zu tun, als Ermittlungsverfahren gegen die Journalisten und nicht gegen Wirecard einzuleiten. Die Rechtsaufsicht über die BaFin lag beim Finanzminister Olaf Scholz und wer glaubt, die BaFin hätte derartige Schritte ohne billigende Zustimmung des Kanzlerkandidaten und verantwortlichen Finanzministers vorgenommen, der glaubt auch an den Weihnachtsmann. Und was die „Wahlpannen“ in Berlin betrifft, da wären alle gut beraten, sich nicht mit dem Rücktritt der Berliner Landeswahlleiterin zu begnügen. Denn für die Überschneidung der Termine von Wahltag und Marathon ist sie nun wirklich nicht zur Verantwortung zu ziehen. Und ob die Engpässe beim Wahlpersonal durch zahlreiche, kurzfristige Krankmeldungen von Wahlhelfern möglicherweise ein gezielter Angriff von Querdenkern oder anderen subversiven Netzwerken stammt, wird das Wahlvolk höchstwahrscheinlich nie erfahren.

Thomas Rudek, Berlin, 30. Sept. 2021

Der Parlamentarismus ist die Kasernierung der politischen Prostitution“
Karl Kraus

Autovertreter verkaufen Autos, Versicherungsvertreter Versicherungen. Und Volksvertreter?“
Stanislaw Jerzy Lec

Hinweise:

Streitkultur: Sollten Wahlumfragen abgeschafft werden?
Der Mathematiker und Statistiker Gerd Bosbach und der Politik- und Meinungsforscher Richard Hilmer im Gespräch, Sendung des Deutschlandfunks vom 25.9.2021 nachzuhören unter
https://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2021/09/25/sollten_wahlumfragen_abgeschafft_werden_gerd_bosbach_vs_dlf_20210925_1705_835c3e98.mp3

Im Gespräch: Immer mehr Nichtwähler – Wie steigern wir die Wahlbeteiligung? Mit Ferda Ataman, Journalistin und Publizistin, und Prof. Dr. Armin Schäfer, Professor für Vergleichende Politikwissenschaft an der Universität Münster,Sendung von Deutschlandfunk Kultur vom 25.9.2021 nachzuhören unter:
https://www.deutschlandfunkkultur.de/nichtwaehler-wie-steigern-wir-die-wahlbeteiligung.970.de.html?dram:article_id=503240
https://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2021/09/25/immer_mehr_nichtwaehler_wie_steigern_wir_die_drk_20210925_0905_563cc727.mp3

Tagesgespräch – Berliner stimmen für Enteignung von Wohnungsbaugesellschaften: Was halten Sie davon?
Sendung von Bayern 2 vom 28.9.2021, Podcast unter https://media.neuland.br.de/file/1838031/c/website/berliner-stimmen-fuer-enteignung-von-wohnungsbaugesellschaften-was-halten-sie-davon.mp3

1Prof. Arnim Schäfer wurde von der ehemaligen Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) im Zusammenhang mit dem Reichtuns- und Armutsbericht beauftragt, ein Gutachten zur Responsivität in deutschen Parlamenten zu erstellen. Dieses Gutachten untersuchte in zahlreichen Politikfeldern die interessenspolitischen Einflussmöglichkeiten und kam zu dem empirischen Befund, dass von Armut betroffene Interessen unberücksichtigt bleiben.

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