TV-Remake im ZDF zur Prime-Time:
Die Wannseekonferenz – Die „Endlösung der Judenfrage“
Plädoyer für eine Erinnerungskultur der Zukunft
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Vor 80 Jahren, am 20. Januar 1942 trafen sich im jetzigen Haus der Wannseekonferenz 15 Vertreter der Ministerialbürokratie und der SS-Einheiten unter der Leitung des SS-Gruppenführers Reinhard Heyrdich, der in dem von Adolf Eichmann (Heydrichs Referent für „Judenangelegenheiten“) geführten Protokoll festhalten ließ, er sei von Göring zum „Beauftragten für die Vorbereitung der Endlösung der europäischen Judenfrage“ ernannt worden und dass die Federführung beim „Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei“ (Himmler) liegen würde. Ziel der Konferenz sei es, die „Endlösung der Judenfrage“ administrativ und organisatorisch zu besprechen, Zuständigkeiten festzulegen und die Opfergruppen (Halbjuden, Vierteljuden, Mischehen, arbeitsfähige Juden etc.) zu definieren, auch um sicherzustellen, dass niemand der industriell geplanten Massentötung entgehen kann.
Das von Heydrich überarbeitete Ergebnisprotokoll wurde als „Geheime Reichssache“ gezeichnet. Von den 30 Kopien ist lediglich das 16. Exemplar des Unterstaatssekretärs im Auswärtigen Amt, Martin Luther, gefunden worden.
Für die Unterhaltungsindustrie und das öffentlich-rechtliche Fernsehen ist dieser Gedenktag ein Anlass, um mit einem Spielfilm-Remake wie einer anschließenden Dokumentation an die Wannseekonferenz zu erinnern. Es ist müßig darüber zu streiten, welche Verfilmung besser gelungen ist: Die Produktion von Heinz Schirk aus dem Jahr 1984 , oder die britische Verfilmung aus dem Jahr 2001 von Frank Pierson oder die aktuelle Verfilmung von Matti Geschonneck 2022. Wichtig erscheint der Hinweis, dass die aktuelle Ausstrahlung von Geschonneck am Montag, dem 24.1.22 um 20.15 Uhr im ZDF nicht nur zur Prime-Time erfolgt, sondern auch in den Medien (TV, Print und Radio) sehr stark beworben wurde, jedoch leider mit keinem Wort auf die anderen Filme hingewiesen worden ist.
So wichtig es für die gegenwärtige Erinnerungskultur auch ist, durch Spielfilme dokumentarischen Charakters an die geplante Ermordung von 11 Millionen Juden und andere Ethnien zu erinnern, so stellt sich auch die Frage, wie das Erinnern über erste Betroffenheitsgefühle hinaus nachhaltig und dauerhaft vermittelt werden kann. Was gerade vor dem Hintergrund „rechtspopulistischer“ Strömungen wichtiger erscheint als je zuvor, ist die Bildung einer „aktiven Erinnerungskultur“, einer Erinnerungskultur der Zukunft, oder anders formuliert / gefragt: Wie müssten an historischen Ereignissen angelegte Spielfilme konzipiert sein, um die Zuschauer zu befähigen, aus zurückliegender Geschichte für die Zukunft zu lernen. Im Idealfall wäre das Resultat unserer „Unterhaltungsindustrie“ ein Spielfilm, der als Frühwarnsystem nicht nur alle Alarmglocken auslöst, weil die wachgerufenen Erinnerungen erkennen lassen, dass sich Zurückgeglaubtes zu wiederholen droht. Anlass für fundierte, berechtigte Begründungen gibt es mehr als genug: Eine Studie der Körber-Stiftung unter dem Titel „Demokratie in der Krise“ stellt einen massiven Vertrauensverlust in die etablierte politische Entscheidungsfindung fest:
„Nur 50 Prozent der Bundesbürger/-innen haben Vertrauen in die Demokratie, 30 Prozent vertrauen ihr weniger bis gar nicht. Auch für öffentliche Einrichtungen und Institutionen ist das Vertrauen nicht sonderlich stark ausgeprägt: Lediglich 32 Prozent der Befragten haben Vertrauen in Bundestag und Bundesregierung, nur 20 Prozent vertrauen Parteien.“
Ob – wie in der Studie empfohlen – „Bürgerräte“ daran etwas ändern werden, kann und muss bezweifelt werden. Konkreter wird der Jurist Joachim Wagner, der in seinem Buch „AfD-Richter, -Staatsanwälte und -Schöffen: eine Gefahr für den Rechtsstaat?“ sehr deutlich veranschaulicht, dass sich der Rechtsextremismus seinen Raum nicht nur in parlamentarischem Debattierclub erobert hat, sondern auch in der Rechtssprechung.
Zurück zu den Spielfilmadaptionen und der Frage nach ihrem Beitrag für eine zukunftsgerichtete Erinnerungskultur. Die drei genannten Spielfilmadaptionen der Wannseekonferenz vermitteln die Planung des Holocausts als ein zurückliegendes, historisch abgeschlossenes singuläres Ereignis, welches von administrativen Führungskräften mit nüchterner Kalkulation professionell vorbereitet worden ist. Der Abspann über die Verurteilungen und Hinrichtungen bzw. Selbsttötungen unterstreichen dann ein beim Zuschauer entstehendes Gefühl der Genugtuung und damit auch ein falsches Gefühl der Abgeschlossenheit eines Ereignisses, nach dem Motto: Wenigstens sind die Schuldigen einer entsprechenden Bestrafung zugeführt worden. Doch gerade die verkürzte Reduzierung des Blicks auf eine administrative Führungselite greift zu kurz, denn ein Massenmord benötigt nicht nur viele Mittäter und Vollstrecker, sondern auch eine breite Akzeptanz innerhalb der Bevölkerung.
Nur zur Erinnerung: Für die breite Akzeptanzherstellung unter der deutschen Bevölkerung war die unter der Tarnbezeichnung Aktion 3 Anfang November 1941 verkündigte Anordnung des Reichsfinanzministeriums entscheidend, in der festgelegt wurde, wie bei der Deportation der Juden mit deren Vermögen umzugehen sei. Es entstand eine Verwertungsbürokratie, in der alles – von Immobilien über Bekleidungen bis zu alltäglichen Gebrauchsgegenständen – detailliert aufgelistet wurde, um dann die gelisteten Gegenstände „aus nicht-arischem Vermögen“ auf öffentlichen Aktionen feil zu bieten. Die Einnahmen wurden auf 778 Millionen Reichsmark geschätzt. Auf den eigenen Vorteil ausgerichtet interessierte sich niemand für das Schicksal der ursprünglichen jüdischen Besitzer. Im Gegenteil: Die Aktionen befeuerten auch das Denunziantentum. Dem „Finanztod“ der enteigneten Juden folgte dann der physische Tod in den Gaskammern der Konzentrationslager. Immerhin wird im Drehbuch der aktuellen Geschonneck-Verfilmung auch kurz dieser Aspekt erwähnt, während in den begleitenden Dokumentarfilmen zu den Spielfilmadaptionen von 1984 und 2022 dieses Thema unerwähnt bleibt.
Dem MDR ist es zu verdanken, dass am 25. Januar um 22.10 Uhr unter dem Titel „Die Versteigerer – Profiteure des Holocaust“ dieses Kapitel näher beleuchtet wird. Auch vom Filmemacher Michael Verhoeven ist 2008 unter dem irreführenden Titel „Menschliches Versagen“ ein längerer Dokumentarfilm veröffentlicht worden, der offenbart, wie sehr die Oberfinanzdirektionen der BRD versuchten, dem Ausstellungsorganisator Wolfgang Dreßen den Aktenzugang zu den Enteignungsakten zu verweigern – und das 60 Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkriegs. Nachdem es Dreßen dennoch gelungen war, Material für eine Wanderausstellung zu organisieren, verweigerte ihm der Rektor der Humboldt-Uni in Berlin, diese Ausstellung in der Eingangshalle jungen Studierenden zu präsentieren. Dreßen mußte in das Rathaus von Kreuzberg ausweichen.
Nun ist das Vermittlungsspektrum von Spielfilmen immer begrenzt, doch umso wichtiger erscheint es, in begleitenden Dokumentarfilmen inhaltlich wenigstens die Saat für eine Erinnerungskultur der Zukunft zu legen.
Wie erinnern wir uns? Genauer: Wie sollen wir uns erinnern? Diese Frage wird von den Programmmachern der Unterhaltungsindustrie maßgeblich beeinflusst.
Als Ende der 70er Jahre der amerikanische Vierteiler über den Holocaust als Mini-Serie ins Fernsehen kam, gingen dieser Entscheidung harte Auseinandersetzungen voraus, die in dem sehenswerten Film „Wie der Holocaust ins Fernsehen kam“ tiefe Einblicke in die Abgründe der Einstellungshaltungen zahlreicher beteiligter Führungskräfte gewährt – und DAS Ende der 70er Jahre.
Anlässlich des heutigen Datums (24.1.22.) hat auch der Moderator Michael Friedmann den Historiker Norbert Frei zu einem Gespräch über die Bedeutung des Holocaust eingeladen. Auch wenn die Antworten von Norbert Frei wenig überzeugen konnten (beschämende Ausflüchte), so war die Ausgangsfragestellung nach der heutigen Anfälligkeit für Menschenverachtung von elementarer Bedeutung. Und auf die Frage, ob sich heute Auschwitz wiederholen könne, da werden hoffentlich nicht wenige an die Flüchtlingslager denken wie die Vertragsverhandlungen beispielsweise mit der Türkei, um die Flüchtlingskontingente für Deutschland zu beschränken.
Über die Einstellungshaltungen hat der österreichische Professor Oliver Rathkolb die Neue Autoritarismus-Forschung ins Leben gerufen. Seine Untersuchungen zu Studierenden wie zu den Haltungen in den Bevölkerungen der osteuropäischen Mitgliedsländer sind alarmierend. Von den Medien sind seine Forschungsergebnisse unberücksichtigt geblieben, offensichtlich weil BLOCKbuster wie „Er ist wieder da“ höhere Einfaltquoten garantieren. Der Ausnahmeschauspieler Lars Eidinger wurde einmal gefragt, ob es für ihn Rollen geben würde, die er nicht annehmen würde. Seine Antwort: Komödien über das Nazi-Regime.
Um nicht missverstanden zu werden: Auch die neue Verfilmung der Wannseekonferenz ist wie die beiden älteren Verfilmungen schon deshalb äußerst sehenswert, weil sie vergegenwärtigen, mit welchen Managementmethoden die industriell geplante und durchgeführte Massentötung präzise vorbereitet wurde. Die Optimierung jener Kosten-Nutzen-Analysen, die heute genauso zum Rüstzeug der neoliberalen „Reformpolitik“ gehört wie die Ausmachung und Anprangerung neuer Feindbilder („Sozialschmarotzer“, Flüchtlinge etc.), wird nicht hinterfragt. Wie anhand der „Endlösung der Judenfrage“ nachgewiesen wurde, ist der Genozid ein Prozess, der einen langjährigen Vorlauf hat. Am Anfang steht die Konstruktion eines Feindbildes, ihre umfassende Ausgrenzung und Stigmatisierung, ihre Enteignung und anschließend ihre Deportation und die Ermordung.
Ob sich solche Ereignisse quasi musterhaft auch in der Leistungsgesellschaft marktkonformer Demokratien wiederholen können? Geheimprotokolle gibt es jedenfalls heute mehr als wir erahnen dürfen / sollen, denn die Informationsfreiheit steht zwar auf dem Papier, gilt jedoch für privatrechtliche „Beratungsagenturen“ nicht. Natürlich haben auch die Leistungsträger gelernt: Konzentrationslager werden heute nicht unterhalten. Satt dessen wird „gentrifiziert“ bzw. die von Armut betroffenen wohin auch immer verdrängt und das immer frühere Ableben wird individualisiert. Massentötungen finden nicht mehr statt, aber die Anzahl „herrenloser Leichen“ hat mit der Einführung von Hartz IV starkt zugenommen. Und was die Menschenverachtung betrifft, da ist es erwähnenswert, dass sich hochgradige asoziale Psychopathen wie Gerhard Schröder, Wolfgang Clement, Thilo Sarrazin und Hubertus Heil wie viele andere Schreibtischtäter damit rühmen, innerhalb Europas den größten Niedriglohnsektor „geschaffen“ zu haben, aber die Frage, wo die von Niedriglohn betroffenen Menschen wohnen sollen, vorsätzlich ausgeklammert wurde. Die Terminologie spricht Bände: Es gebt hier nicht um die Übernahme von Wohn- bzw. Mietkosten, sondern lediglich um angemessene Kosten für die „Unterkunft“. Und diese sind so gering kalkuliert, das jeder 5. Hartz IV Haushalt durchschnittlich 80€ von seinem ohnehin knapp bemessenen Regelsatz abzweigen muss, um seine Mietkosten bezahlen zu können, wie der Regierungsantwort auf eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag zu entnehmen ist. Wer solche Politik zu verantworten und beratend mitgetragen hat, der muss sich vorhalten lassen, von der gleichen menschenverachtenden Einstellungshaltung befallen zu sein, wie die Teilnehmer der Wannseekonferenz.
Bleibt abschließend die Frage, von wie vielen Menschen dieses Remake wohl gesehen worden ist. Der amerikanische Vier-Teiler Holocaust war 1978 ein regelrechter Straßenfeger. Ob damalige Einschaltquoten jetzt auch erreichbar sind? Vermutlich nicht einmal annähernd, was keineswegs auf die Qualität des Spielfilms zurückzuführen ist. Aber 1978 stand auch der politische Bildungsauftrag im Vordergrund der Programmverantwortlichen. 1984 kam es jedoch zur Einführung des Privatfernsehens und mit dem dualen System wurde die Zentraloffensive auf das bundesrepublikanische Großhirn eingeläutet: Zuerst wird die mediale Wahrnehmung privatisiert, dann der soziale Wohnungsbau, die Infrastruktur, die Bildung und die Gesundheit – nicht zu vergessen der Repräsentationsanspruch der Demokratie. Seitdem ist der politische Bildungsauftrag der Jagd nach Einfaltquoten geopfert worden. Daran mag auch der Hinweis auf die zeitlich limitierte Verfügbarkeit (warum eigentlich?) in den Mediatheken der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten nichts wesentlich ändern.
Thomas Rudek, Jan. 2022
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