Mediendemokratie & Bürgerbeteiligung: 2254-Nachtgespräche werden stumm geschaltet! Führungsetage von Deutschlandradio Kultur hat kein offenes Ohr für die Stimmen ihrer Hörer

2254-Nachtgespräche werden stumm geschaltet! Führungsetage von Deutschlandradio Kultur hat kein offenes Ohr für die Stimmen ihrer Hörer

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Mehr als 15 Jahre hielt der Sender Deutschlandradio Kultur für seine Zuhörer eine ganz besondere Möglichkeit der Beteiligung bereit: Zu nächtlicher Stunde zwischen ein und zwei Uhr konnten Menschen unter der kostenfreien Telefonnummern 0800 – 2254 2254 ihre Meinungen, Ansichten, Erfahrungen und Anregungen zu ausgewählten Themen live mitteilen. Durch das gezielte Nachfragen der Moderatoren gelang es nicht nur, die Anliegen der Anrufer gezielt auf den Punkt zu bringen. Durch die einfühlsame Gesprächsführung entstanden auch Momente einer aufgeschlossenen Vertrautheit. In diesem Klima fiel es den anrufenden Gesprächsteilnehmern leicht, die eigenen Gedanken zu offenbaren oder sich auf vorherige Anrufer zu beziehen. Was hier entstand, war eine authentische Gesprächskultur des Zuhörens und Mitteilens, in der ein sachlicher und persönlicher Austausch von Meinungen im Mittelpunkt stand.

Die Führungsetage von Deutschlandradio-Kultur will jetzt dieses Modell einer aktiven Hörerbeteiligung abwickeln. Bereits ab 21. Juni – mitten im Fieber der Fußball-Weltmeisterschaft – wird es diese Möglichkeit der Bürgerbeteiligung nicht mehr geben! Begründet wird dieser Einschnitt vom Kultur-Redakteur Dr. Hans-Dieter Heimendahl mit der Zielvorgabe, dass durch eine Programmreform der Unterschied zwischen Deutschlandfunk als Anbieter eines Informationsprogramms und Deutschlandradio Kultur als Anbieter eines Musikprogramms eindeutiger herausgestellt werden soll. Doch gerade der Hinweis auf die Wortnacht des Deutschlandfunks (dlf) als Alternative mag vor allem deshalb nicht überzeugen, da ein entsprechendes Beteiligungsformat für Bürger vom dlf bisher nicht angeboten wird. Außerdem beinhaltet die dlf-Wortnacht kein eigenständig neues Programmangebot, sondern bietet lediglich die Wiederhoung von Sendungen des Tagesprogramms an. Da diese Beiträge ohnehin auch als aufgezeichnete Audiodateien (Podcasts) Interessierten auf dem Internetportal zum nachhören angeboten werden, erscheint die Wortnacht (mit Ausnahme der Nacht von Freitag auf Samstag) eher als Lückenfüller, mit dem Kosten gesenkt werden.

Als elitär und arrogant muss die Behauptung von Dr. Heimendahl bewertet werden, es handele sich bei den anrufenden Hörern lediglich um „Zaungäste“ bzw. um eine eingeschworene Gemeinde. Gewiss gibt es Stammhörer, die regelmässig anrufen und mir ihren Anliegen und Absichten auch durchgestellt werden. Doch seit Bekanntwerden der Abwicklungsabsichten der Chefetage melden sich auch aus dem großen Lager der „stillen Hörer“ viele neue Stimmen zu Wort und bekunden telefonisch ihre tiefe Enttäuschung, dass ihnen diese Informationsplattform zukünftig nicht mehr zur Verfügung gestellt werden soll. Ungefähr vor einem Jahr – parallel zur neuen Ausrichtung der GEZ-Gebühr – konnten in den Nachtgesprächen Hörer Vorschläge zur Verbesserung unterbreiten: Neben dem Vorschlag, die Sendezeit auf einen früheren Termin vorzuverlegen, spielte auch die Bitte nach einer Ausweitung der Sendezeit eine herausragende Rolle. Statt nachfrage- und kundenorientiert auf diese Wünsche einzugehen, erfolgt jetzt die komplette Absage an dieses Beteiligungsformat. Auch die Radikalität und Eilbedürftigkeit dieser Entscheidung wie die Terminierung der Abschaltung in die Zeit der Fußball-WM lässt vermuten, dass andere Gründe für diesen Strukturwandel eine Rolle spielen. Statt radikal abzuwickeln, hätten alternative Übergangsformen angeboten werden können, beispielsweise dass die Nachtgespräche wenigstens am Wochenende von Freitag bis Sonntag zweistündig ausgestrahlt werden. Doch gerade die Tatsache, dass solche Alternativmodelle als „Trostpflaster“ für die enttäuschte Hörerschaft nicht in Aussicht gestellt werden, zeigt, worum es geht: Die Mediendemokratie wird zurecht gestutzt, indem die Hörer ihrer Stimmen beraubt werden. Dabei – und auch das ließen mehrere Anrufer in den Nachtgesprächen vom 11. Juni durchblicken – erfüllen die Nachgespräche gerade für Führungskräfte aus Wirtschaft und Politik auch die Funktion eines Frühwarnsystems: Denn wann hat dieser Personenkreis von Entscheidungsträgern schon einmal die Möglichkeit, sich von Bürgern „unverblümt“ ihre Sichtweise anhören zu können. Da diese Programmreform – besser Deform – jedoch auch die Zustimmung der beteiligten Entscheidungsgremien bereits erhalten hat, ist zu befürchten, dass ohne politischen Druck die Funktionsträger nicht einlenken und ihre Entscheidung nicht revidieren werden. Doch es es ist noch schlimmeres zu befürchten: Es entspricht dem neuen Führungsstil, dass Entscheidungen kompromißlos, besser totalitär, um- und durchgesetzt werden, und auch das Archiv der Nachtgespräche mit Audio-Aufzeichnungen dieser „Reform“ geopfert und elemeniert wird. Nichts scheint mehr an diese partizipativ-integrative Option einer lebendigen Ausgestaltung der Mediendemokratie erinnern zu sollen.

Über das Ausmaß der Enttäuschung konnte sich in den frühen Morgenstunden des 11. Juni Dr. Heimendahl selbst ein Bild machen, der den Nachtgesprächen in dieser Sendung als Gesprächspartner beiwohnte. Die Sendung kann unter dem Titel „Welche Ideen stecken hinter der neuen Programmreform?“ nachgehört werden. Bereits die Stimmen auf dem Anrufbeantworter zeigten die hohe Betroffenheit. Die Erklärungs- und Rechtfertigungsversuche von Dr. Heimendahl wurden bereits oben kritisch kommentiert. Dem Anruf eines ehemaligen Hamburger Senators ist es zu verdanken, dass er auf die einmalige Bedeutung dieses Frühwarnsystems verwies, wenn Bürger unverblümt ihre Sicht auf die Dinge mitteilen. Der Moderatorin Birgit Kolkmann wie ihren Mitarbeitern danke ich ausdrücklich, dass sie auch mir die Möglichkeit eröffnet hat, den letzten Redebeitrag beisteuern zu dürfen.

Am (Ab)Stichtag, dem 21. Juni, wird auch der dlr-Programmdirektor Andreas-Peter Weber zwischen 9 und 11 Uhr vormittags die Programm“reform“ den Hörern vorstellen.
Für ein Pressegespräch stehen am 16. Juni ab 11 Uhr Andreas-Peter Weber, Programmdirektor Deutschlandradio, Peter Lange, Chefredakteur, Dr. Hans Dieter Heimendahl, Hauptabteilungsleiter Kultur, sowie Jürgen König, Redaktionsleiter Primetime, (alle Deutschlandradio Kultur) im Funkhaus von Deutschlandradio Kultur zur Verfügung – und es ist gewiss kein Zufall, dass an diesem Tag Deutschland gegen Portugal spielt. Es ist ein altes, strategisches Prinzip, systemrelevante Strukturveränderungen still und leise im Schatten von lärmenden Großereignissen durchzusetzen. Ob die Hoffnung der Verantwortlichen aufgeht und sich kein länger fristiger Widerstand  organisiert?

Auch wenn der berechtigte wie notwendige Aufschrei der Bürger im Getöse der Fußball-WM unterzugehen droht, muss die Empörung und der politische Druck erhalten und ausgeweitet werden. Daher suchen die Wasserbürger nach Bündnispartnern für eine „Interessengemeinschaft für mehr Bürgerbeteiligung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk“. Erste Interessierte, darunter auch mehrere Juristen, konnten bereits gewonnen werden. Interessierte wenden sich bitte an Thomas Rudek, entweder per mail unter ThRudek@gmx.de oder telefonisch unter 030 / 261 33 89 (AB).

Lesenswert der Tagesspiegel-Artikel vom 11.6.2014 von Joachim Huber:
„2254“ auf Deutschlandradio Kultur Format mit Fortüne – aber ohne Zukunft?

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