Nur ein Tropfen auf den heißen Stein: Abmahnung der Berliner Wasserbetriebe durch das Bundeskartellamt ist kein Ersatz für die gerichtliche Anfechtung der Privatisierungsverträge

Berlin, 6.12.2011. Die Abmahnung der Berliner Wasserbetriebe durch das Bundes­kartellamt wegen zu hoher Trinkwasserpreise wird von Thomas Rudek, dem Verfasser des ersten Berliner Volksentscheids zur Offenlegung der Geheimverträge, als „ein Tropfen auf den heißen Stein“ bezeichnet. „Viele Fragen sind noch offen“, führt die Juristin Sabine Finkenthei aus, die nach dem Volksentscheid einen „Arbeitskreis unabhängiger Juristen“ zur Vertragsüberprüfung ins Leben gerufen hat: „Ist das Bundeskartellamt überhaupt zuständig? Das Verfahren zu dieser Frage ist noch offen. Auch richtet sich eine rechtswirksame Preis­senkungsverfügung lediglich gegen die Trinkwasserpreise, nicht jedoch gegen die wesentlich höheren Abwasserpreise. Eine solche Verfügung würde lediglich auf eine symbolische Preissenkung hinauslaufen, die an dem Kernproblem, der vertraglich zugesicherten Gewinnausfallgarantie, nicht das Geringste ändern würde. Daher wären alle gut beraten, sich nicht auf das Bundeskartellamt zu verlassen, sondern von den neu gewählten Abgeordneten zu verlangen, dass diese mit einem Organstreitverfahren die Wasser-Verträge vor dem Verfassungsgerichtshof anfechten. Der Arbeitskreis unabhängiger Juristen hat das Verfahren zur Vertragsan­fechtung in einem Leitfaden detailliert aufgezeigt und bietet seine juristische Hilfe und Unterstützung an!“

Zu kritisieren ist auch die unvollständige Berichterstattung: „Wenn das Bundeskartellamt von einer Absenkung von ca. 205 Mio. € für die nächsten drei Jahre ausgeht, dann sind das 68 Mio. € pro Jahr. Das bedeutet für Senat und die privaten Teilhaber, dass jeder von ihnen lediglich auf 34 Mio. € pro Jahr verzichten müsste. Das ist ein schlechter Witz, wenn wir uns daran erinnern, dass allein im vorletzten Geschäftsjahr 270 Mio. € an Gewinnen aus den Taschen der Berliner herausgepumpt worden sind! Das bedeutet, von jedem einzelnen 4-Personen-Haushalt in Berlin sind in dem genannten Geschäfts­jahr 308 € Gewinne abkassiert worden, zusätzlich zu den eigentlichen Wasserkosten,“ so Rudek.

Auch ist zu befürchten, dass im Fall einer rechtswirksamen Preissenkungsverfügung die privaten Anteilseigner RWE und Veolia die ihnen vertraglich zugesicherte Gewinn­ausfall­garantie einfordern werden (§ 23.7 Konsortialvertrag). In diesem Fall würden die Konzerne ihre Gewinne nicht aus den Wassergebühren ableiten, sondern davon profitieren, dass die Schleuse zum Haushalt geöffnet wird. Solange die Gewinnausfall­garantien nicht angefochten werden, sind die Berliner immer die Gebeutelten: Entweder als Gebühren- oder als Steuerzahler.

Der ehemalige Wirtschaftssenator Harald Wolf (Die LINKE), der bezeichnenderweise mitten im laufenden Volksbegehren und nicht zu Beginn seiner Amtszeit das Bundeskartellamt einschaltete, hofft, dass die Gewinn­ausfallgarantie nicht zum tragen kommt, da die Preissenkungsverfügung durch das Bundeskartellamt nach Bundesrecht erlassen worden ist. In einem solchen Fall, der außerhalb des Einflussbereichs des Landes liegt, würde nach dem Vertrag die Gewinnausfallgarantie nicht zur Anwendung kommen (§ 38 Vertrags­anpassung). Das ist die persönliche Rechtsmeinung von Harald Wolf. Doch es ist zu erwarten, dass die privaten Anteils­eigner diese Rechtsauffassung nicht teilen, zumal das Bundeskartellamt nicht von sich aus auf der Bildfläche erschienen ist, sondern vom Landespolitiker Wolf eingeschaltet wurde. Und wenn die Vertragsparteien in der Auslegung des Vertrages unterschiedliche Ansichten vertreten, dann werden solche Streitigkeiten nach dem Vertrag vor einem Schiedsgericht unter Ausschluss der Öffentlichkeit  geregelt. Besonders pikant an diesem Verfahren ist der Umstand, dass Ex-Senator Wolf seine Rechtsmeinung im Schiedsgericht jetzt nicht einmal vertreten könnte, da er dem Berliner Senat nicht länger angehört.

Zusammengefasst ist es sowohl für Freudensprünge wie für Weihnachtsgeschenke zu früh. Es muss mehr geschehen. Auf den Prüfstand gehören nicht nur die Trinkwasser­ und Abwassertarife. Wenn sich nach einem internen Papier des Finanzsenators Nußbaum der Anteil der kalkulatorischen Kosten auf 44 % beläuft, dann gehört das gesamte Kalkulationsverfahren auf den Prüfstand. Am Ende müßte ein Kalkulationsverfahren stehen, das sich an den realen Kosten ausrichtet und von Organisationen, die die Interessen der Verbraucher, der Steuerzahler und der Umwelt vertreten, mitgetragen wird. Vor allem führt an der überfälligen Anfechtung der Verträge durch die Abgeordneten mittels einer Organklage vor dem Verfassungs­gerichtshof kein Weg vorbei! Der „Arbeitskreis unabhängiger Juristen“ hat hierfür nicht nur einen fundierten Leitfaden erarbeitet und publiziert, sondern konnte auch kompetente Rechtsanwälte gewinnen, die bereit sind, die Abgeordneten bei der Erarbeitung einer Organklage zu unterstützen.

Sabine Finkenthei* und Thomas Rudek**

* Koordinatorin des Arbeitskreises unabhängiger Juristin / Mitverfasserin des Leitfadens „Nichtigkeit der Berliner Wasserverträge und ihre Geltendmachung“
Kontakt: Tel.: 030 / 69 30 84 2 – Mobil: 0176 / 25 21 37 26 – e-mail: S.Finkenthei@gmx.de

** Sprecher und Verfasser des ersten gewonnen Volksentscheids in Berlin zur Offenlegung der Geheimverträge bei den teilprivatisierten Berliner Wasserbetrieben
Kontakt: Tel.: 030 / 261 33 89 (AB) / ThRudek@gmx.de

Weitere Informationen (Leitfaden, Schreiben an die EU-Kommission) befinden sich auf dem Portal www.wasserbuerger.de

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