BGE-Kritik & die NachDenkSeiten – Fake News und Milchmädchenrechnungen!

BGE-Kritik & die NachDenkSeiten – Fake News und Milchmädchenrechnungen!
von Thomas Rudek

Wenn auch die intellektuelle Mobilmachung gegen das BGE in ihrer inhaltlichen Substanz eher kleingeistig erscheint, so wirkt sie dennoch umso gefährlicher, wenn namhafte Vertreter und Kritiker der Agenda-Politik gegen das Bedingungslose Grundeinkommen Stimmung machen. Gemeint ist das von Albrecht Müller gegründete Portal der NachDenkSeiten, auf dem sowohl der Bestsellerautor wie ehemalige SPD-Planungschef als auch der Armutsforscher Christoph Butterwegge sowie Jens Berger gegen das BGE wettern und alle Befürworter des BGE beschuldigen, sie würden einen Abbau des Sozialstaates beabsichtigen. Wem es an konstruktiv-innovativen Ideen zur Realisierung des BGE mangelt, sondern sich aufs Abwehren und Festhalten konzentriert, der schreckt auch nicht davor zurück, diffamierende und beleidigende Geschütze aufzufahren, um diejenigen rhetorisch unter Beschuss zu nehmen, die für eine neue soziale Gesellschaftsarchitektur einstehen und ein Fundament fordern, welches ein angstfreies Leben ermöglicht. Wenn beispielsweise Müller das BGE als „Schnapsidee“ bezeichnet oder Butterwege (Verlust)Ängste nach dem Motto „alles-wird-viel-schlimmer“ schürt, dann sollten bei derartigen kommunikativen Gleichschaltungsstrategien über politisches Framing (s. Elisabeth Wehling) alle Alarmglocken schrill läuten.

Dass rhetorisch auch die Unterstützer und Sympathieträger des BGE unter Beschuss genommen werden, mag zum Alltagsgeschäft der politischen Kommunikation gehören. Schwerer wiegt, wenn die inhaltliche, argumentative Auseinandersetzung nicht nur zu wünschen übrig lässt, sondern mit Fake News und Milchmädchenrechnungen ganz bewusst, also vorsätzlich, in die Irrenlandschaft paralysiert wird, so kürzlich Jens Berger in seiner jüngsten BGE-Kritik „Das Grundeinkommen ist kein „No-Brainer““ (http://www.nachdenkseiten.de/?p=41787).

So stimmt beispielsweise die Behauptung über das BGE-Experiment in Finnland nicht:

„Hinzu kommt, dass sowohl Arbeitslose als auch Haushalte mit niedrigen Einkommen in den Metropolregionen, in denen jeder dritte Finne lebt, ein Anrecht auf Wohngeld haben. Da ist es durchaus verständlich, dass sehr viele Finnen sich kein BGE herbeisehnen, bei dem all diese Leistungen und Zuschüsse wegfallen würden.

Richtig ist: Wer in Finnland am Experiment teilnimmt und keinen Job ergattert, der verliert eben nicht seinen Anspruch auf Wohngeld, sondern kann Mietbeihilfe beantragen. Ansonsten werden 80% der Wohnkosten getragen, was natürlich viel zu wenig ist – wie auch das BGE in Finnland mit lächerlichen 560€ generell viel zu gering angesetzt ist.

Besonders häufig wird gegen das BGE der Einwand erhoben, die Realisierung würde die von Armut betroffenen Menschen noch schlechter stellen. Richtig ist, dass es – wen wundert es – natürlich auch aus dem neoliberalen Lager Versuche gibt, das BGE-Thema zu besetzen und als Sparmodell zur Kürzung der Sozialstaatsausgaben einzusetzen. Statt sich in diesem neoliberalen Lager einzureihen, sollte einer Verbreiterung dieser Vorstellung der Riegel vorgeschoben werden, indem konkret und politisch korrekt im öffentlichen Diskurs festgehalten und herausgestellt wird, was eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte: Die Höhe des BGE darf nicht in die Armut führen und muss sich deshalb am durchschnittlichen, monatlichen Bruttoeinkommen orientieren und darf nicht weniger als 60% des Bruttoeinkommens betragen1. Nach Angaben des Bundesamts für Statistik belief sich das durchschnittliche Bruttoeinkommens im Jahr 2016 auf 3703 €. Ein BGE, das nicht unter 60% des durchschnittlichen Bruttoeinkommens liegen darf, würde sich somit auf 1620 € Brutto belaufen, wobei durchaus regionale Unterschiede zu berücksichtigen sind. Bedenkt man, dass diese Berechnung andere Einkommensarten wie Vermögen und auch Sonderzahlungen unberücksichtigt lässt, ist dieser Wert als konservativ zu betrachten!

Leider finden sich auf den NachDenkSeiten solche progressiven Vorschläge nicht. Neben dem Versuch, das BGE und ihre Fürsprecher in die neoliberal-marktradikale Ecke zu stellen (was für Finnland zweifelsohne zutrifft), wird häufig mit subtilen Unterstellung und Behauptungen gearbeitet, wie beispielsweise, dass dem Staat die Steuereinnahmen aus abhängiger Beschäftigung durch die BGE-Einführung wegbrechen würde. So Jens Berger:

„Will man die BGE-Leistungen komplett steuerfrei stellen, entsteht dadurch auf der Einnahmeseite eine ganz erhebliche Lücke, die durch höhere Steuern und Abgaben geschlossen werden müsste. Es ist also nicht richtig, dass eine simple Umverteilung der Zahlungsströme keine Auswirkungen auf die Finanzierbarkeit hätte. Ökonomen sprechen hier gerne von „Zweitrundeneffekten“.“

Richtig wäre es, darauf hinzuweisen, dass ein Großteil auch weiterhin (fremdbestimmt) arbeiten würde, um den materialistisch-konsumistischen Lebensstil ungebremst fortzuführen. Denn wer auch weiterhin seine Kids zur Kita und in die Schule mit einem SUV „sicher“ transportieren will, der wird mit einem BGE (nicht unter der Armutsgrenze) genauso so wenig auskommen können, wie auf den Zweitwagen verzichten wollen. Und was spricht eigentlich dagegen, wenn man all diejenigen, die den Hals nicht voll genug bekommen, einer Besteuerung aussetzen würde, die den Namen „progressiv“ auch verdient? Wer beispielsweise mehr als das dreifache des BGE – also mehr als das dreifache der Bruttoarmutsgrenze – ver“dient“ (und das sind nicht wenige), der sollte mindestens so hoch besteuert werden, dass das BGE zumindest für diesen Personenkreis der „High Potenzials“ in die öffentlichen Kassen wieder zurückgespült wird. Ob Berger und Müller zu einer solchen differenzierten volkswirtschaftlichen Berechnung in der Lage sind, oder ob derartige Berechnungen eine volkswirtschaftliche Überforderungen darstellen? Und natürlich werden bei einem BGE in genannter Brutto-Höhe auch weiterhin die Sozialabgaben abgezogen. Das bedeutet: Auch ein BGE in Höhe von 1620 € BRUTTO ermöglicht kein Leben in Saus & Braus und schützt schon gar nicht vor Altersarmut. Auch hier werden die Meisten versuchen, ihr BGE aufzustocken, vermutlich viele zum Mindeststundenlohn.

Zurück zu den „Zweitrundeneffekten“ und der Finanzierbarkeit eines BGE: Auch hier ist die Fantasielosigkeit der BGE-Kritiker zu bemängeln! Gerade vor dem Hintergrund der Panama Papers und anderer Leaks, die nur die Spitze des Eisbergs in Sachen Steuerhinterziehung erahnen lassen, stellt sich die Frage, wie lange wir noch auf ein Whistleblowerschutz- und Belohnungsgesetz warten müssen, das alle Whistleblower im Finanzsektor belohnt, die Wirtschaftskriminelle Steuerhinterzieher namentlich benennen? Wenn diese Insider ihre Steuer-CDs den Finanzbehörden anbieten, dann sollte diesen Personen 10% der Einnahmen, die der Fiskus gewinnt, auch als Belohnung / Provision zugestanden werden. Die „Zweitrundeneffekte“ eines solchen Whistleblowerschutz- und Belohnungsgesetzes dürften für die Staatseinnahmen gewaltig ausfallen, denn kaum ein Steuerhinterzieher würde sich zukünftig dem hohen Risiko, erwischt zu werden und hinter schwedischen Gardinen zu landen, aussetzen wollen!

Natürlich gibt es Baustellen, die durch die Einführung eines BGE und zwar nicht unter der Armutsgrenze in Höhe von 1620€ Brutto eröffnet werden. Beispielsweise ist zu erwarten, dass sich der ohnehin knappe Markt an preiswertem Wohnraum durch das BGE verteuern könnte. Doch wie diese Baustelle behoben wird, ist an anderer Stelle bereits erwähnt worden. Die Stichworte „Einbeziehung aller Bestandsmieten in die Berechnung des Mietspiegels“ wie die „Steuerfinanzierung der energetischen Gebäudesanierung“ (statt die Mieter durch eine dauerhafte 11% Modernisierungsumlage skrupellos abzuzocken) mögen an dieser Stelle genügen.

Doch die wichtigste Hauptbaustelle befindet sich in der marktkonformen Ausrichtung unserer Bildungslandschaft, die in ihrer Zielsetzung die massenhafte Produktion von jenen systemkonformen Sozialcharakteren verfolgt, die der Sozialpsychologe und Bestsellerautor Erich Fromm als „Marketing Charakter“ treffend beschrieben hat: Jederzeit sich den Bedürfnisses des Marktes bis zur Selbstaufgabe anzupassen, um „Erfolg“ im materiell-okkupativen Sinne zu haben in Kombination mit der massenmedial geschürten Angst zu jenen zu gehören, die es nicht geschafft haben – Haste nix, biste nix. In der Bildungspolitik stehen jene Disziplinen im Mittelpunkt, deren Entwicklungsstand regelmäßig in den MINT-Studien evaluiert und kontrolliert werden: Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik. Parallel hierzu werden in den Fächern der Geistes- und Sozialwissenschaften die Mittel auf Teufel komm raus gekürzt. Bei dieser Zuspitzung einer egomanen Ellbogengesellschaft ist es um die Schaffung einer sozialen Gesellschafts-Architektur als die entscheidende Voraussetzung für eine Miteinander-Gesellschaft, in der das BGE allen ein angstfreies Leben ermöglicht, sehr schlecht bestellt. Und so sind es keineswegs nur die sogenannten Bildungsverlierer und Abgehängten, sondern auch die Gewinner der Hightec-Gesellschaft, bei denen sich die Frage stellt, ob sie überhaupt die Befähigung für das Leben in einer BGE-Gesellschaft mitbringen bzw. ob ihnen diese Befähigung überhaupt jemals vermittelt wurde. Wie schrieb der verstorbene Aphoristiker Gabriel Laub so treffen: „Fantasie ist etwas, was sich manche Menschen gar nicht vorstellen können“. Aktualisiert man diese Sentenz unter Berücksichtigung der psychologischen Steuerung der Leitmedien, dann würde sie so ausfallen: „Fantasie ist etwas, was sich viele Menschen gar nicht vorstellen sollen“.

Ganz in diesem Sinne wäre (nicht nur) der Gründer der Nachdenk-Seiten Albrecht Müller gut beraten, weniger nach- als mehr vorauszudenken, und das auch seinen „Autoren“ zu empfehlen! Abschließend versöhnlich gegenüber Jens Berger: Ein „No-Brainer“ ist das BGE gewiss nicht. Aber an der Notwendigkeit führt auch kurzfristig kein Weg vorbei. Will man dieses wichtige Thema nicht den neoliberalen Marktradikalen überlassen, wäre es hilfreich und zielführend, an der Beseitigung der Baustellen konstruktiv mitzuarbeiten, auch wenn das – wie Butterwegge am Beispiel des emanzipatorischen Grundeinkommens der LINKE-BAG beklagt – „zur wachsenden Unübersichtlichkeit der Modellpalette“ beiträgt.

Notwendig ist keine Verweigerung, sondern die pragmatische Suche nach Übergangsmodellen. Soll die öffentliche Diskussion um ein BGE wirklich voran kommen, dann sind auch die BGE-Unterstützer gut beraten, die öffentliche Diskussion nicht länger auf die Finanzierung zu richten, sondern auf die Entwicklung von Übergangsmodellen. Hierfür sind lediglich zwei Voraussetzungen erforderlch: 1. Die Verständigung auf die Maxime, dass ein BGE nicht unter der Armutsgrenze liegen darf. Und 2.: Dass es möglicherweise eines zeitlichen Phasenmodells bedarfs, bis alle Menschen die Befähigung erlangen, um das Potenzial einer BGE-Gesellschaft auch zu erkennen und zu (er)leben. Hierzu gehört auch die offensive Thematisierung der globalen Perspektive. Gerade in Anbetracht der Tatsache, dass die Menschen in der 2/3 Welt keine staatlichen Absicherungssysteme kennen, sondern ihre Hoffnungen darauf ausgerichtet sind, dass die eigenen Kinder sich im Überlebenskampf behaupten und ihre Eltern im Alter auch als Migranten aus den westlichen Industriestaaten finanziell unterstützen2, muss überlegt werden, ob ein weltweites BGE möglicherweise auch ein geeignetes Instrument sein könnte, um die weltweite Bevölkerungsentwicklung positiv zu beeinflussen3

Das Ringen um den besten Weg setzt die Bereitschaft zum offensiven Denken voraus – ganz im Sinne des Aphoristikers Elazar Benyoetz „Offenes Denken – offensives“.

Generell zur Kritik am BGE auf den Nachdenk-Seiten, auch mit Kommentaren von Albrecht Müller: http://www.nachdenkseiten.de/?p=41849#more-41849

1Der Bezug zum monatlichen durchschnittlichen Bruttoeinkommen ist transparenter und sozial realitätsbezogener als das Verfahren zur Berechnung des monatlichen Nettoäquivalenzeinkommen.

2 Die Ökonomin Kirsten Schüttler von der Weltbank, wo sie in der Abteilung zu Migration und Ruecküberweisungen arbeitet, berichtet: „Wir schätzen, dass in 2015 die Remittances, also Rücküberweisungen von Flüchtlingen und Migranten in ihre Heimat ca. 602 Milliarden betragen haben, dass an Entwicklungsländer geschätzte 440 Milliarden überwiesen werden. Zudem kommen die Gelder, die über informelle Kanäle gesendet werden, da kann man schwer Schätzungen abgeben. Aber Geld wird auch Familienmitgliedern mitgegeben, Freunden, dem Busfahrer, da gibt’s viele Möglichkeiten, wie man es informell schicken kann, die tauchen in den offiziellen Zahlungsbilanzen nicht auf.“ (Quelle: DLR, 2017)

3Die Notwendigkeit, das BGE global zu denken und umzusetzen, drängt sich nahezu automatisch auf, wenn man den Dokumentarfilm „Untitled“ des leider viel zu früh verstorbenen Filmemachers Michael Glawogger ansieht.

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