Hintergrundgespräch mit Rechtsanwalt Olav Sydow und der Juristin Sabine Finkenthei über das Potenzial einer Organklage

Organklage gegen Wasser-Verträge – Über die bisherigen Bedenken und Vorbehalte der Abgeordneten

Ein Hintergrundgespräch mit der Volljuristin Sabine Finkenthei und Rechtsanwalt Olav Sydow vom Arbeitskreis unabhängiger Juristen. Das Gespräch führt Thomas Rudek.

Hier zum Interview im PDF-Format mit Lesezeichen

In dem Leitfaden „Nichtigkeit der Berliner Wasserverträge und ihre Geltendmachung“ vom Arbeitskreis unabhängiger Juristen (AKJ) wird herausgestellt, dass die Gewinnausfallgarantien § 23.7 des Konsortialvertrages zu Gunsten der privaten Teilhaber an den Wasserbetrieben gegen die Verfassung verstößt, genauer gegen das Budgetrecht des Parlaments, dass in Art. 87 Abs. 1 der Verfassung von Berlin verankert ist. Dort steht: „Ohne gesetzliche Grundlage dürfen weder Steuern oder Abgaben erhoben noch Anleihen aufgenommen oder Sicherheiten geleistet werden.“ Der Arbeitskreis unabhängiger Juristen geht davon aus, dass es sich bei den vertraglich zugesicherten Gewinnausfallgarantien zugunsten der Konzerne RWE und Veolia um eine Sicherheit handelt, für die es einer gesetzlichen Grundlage zwingend bedurft hätte. Dieser Verfassungsverstoß (Verletzung des Budgetrechts) kann von den Abgeordneten im Rahmen einer Organklage vor dem Verfassungsgerichtshof Berlin geltend gemacht werden können. Es ist aufschlussreich, dass bisher kein Abgeordneter die Annahme bestritten hat, dass für die vertragliche Gewinnausfallgarantie keine gesetzliche Grundlage geschaffen bzw. verabschiedet worden ist. Dennoch lassen bisher weder die Abgeordneten der Regierungs- noch die der Oppositionsfraktionen Anstrengungen erkennen, um gegen diesen Verfassungsverstoß vorzugehen. Einzige Ausnahme ist der Abgeordnete Gerwald Claus Brunner von der Fraktion der Piraten, der mit einer kleinen Anfrage möglicherweise den Stein ins Rollen bringen kann.

Rudek: Herr Sydow, Sie sind Rechtsanwalt in Berlin und u.a. auf dem Gebiet des Verfassungsrechts tätig. Sie haben den Leitfaden des Arbeitskreises unabhängiger Juristen „Nichtigkeit der Berliner Wasserverträge und ihre Geltendmachung“ sowohl dem Sonderausschuss am 8. Juni als auch auf einer gesonderten Veranstaltung der Oppositionsfraktionen am 11.6. vorgestellt. Eigentlich hätten man erwarten können, dass vor allem die Oppositionsfraktionen die im Leitfaden aufgezeigte Möglichkeit, die Verträge über eine Organklage gerichtlich anzufechten, mit Freude aufgreifen. Stattdessen zeigen sich auch die Oppositionsfraktionen eher reserviert. Besonders auffällig ist das bei der Abgeordneten Heidi Kosche (Bündnis 90 / Die Grüne), die als Vertrauensperson des Volksbegehrens eine besondere Verantwortung trägt, und jetzt die hohen Kosten eines Organstreitverfahrens anführt, mit denen sie ihre Fraktion nicht belasten will. Können Sie diesen Einwand entkräften?

Olav Sydow:  Für das von uns vorgeschlagene Organstreitverfahren fallen keine Kosten an. Gerichtskosten werden für das Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof gemäß § 33 VerfGHG-Bln nicht erhoben. Auch sind etwaige Auslagen und Kosten des Senats im Organstreitverfahren vom Antragsteller niemals zu erstatten. Dies gilt selbst dann, wenn sich der Senat anwaltlich vertreten lassen sollte. Ein Kostenrisiko könnte somit allenfalls für eigene Kosten der Antragsteller, z.B. durch anwaltliche Vertretung, bestehen. Dafür hat der Arbeitskreis unabhängiger Juristen angeboten, die Vertretung unentgeltlich zu übernehmen. Damit gibt es kein Kostenrisiko. (Anmerkung Wasserbürger: s. hierzu die schriftliche Aussage von Herrn Sydow)

Rudek: Frau Finkenthei, Sie haben unmittelbar nach dem Volksentscheid im Februar vergangenen Jahres, den Arbeitskreis unabhängiger Juristen unter dem Dach des Umweltverbandes GRÜNE LIGA Berlin ins Leben gerufen. Ein großer Vorwurf, der auch von Seiten der Piraten und von Heidi Kosche gegenüber dem AKJ erhoben wird, ist seine angebliche Anonymität. Was hat es mit diesem Vorwurf auf sich?

Sabine Finkenthei: Der Arbeitskreis ist keineswegs anonym. So sind einige Rechtsanwälte namentlich der Öffentlichkeit bekannt. Als Ansprechpartnerin des AKJ sind meine Kontaktdaten im Leitfaden abgedruckt, ausführlichere Infos zur inhaltlichen Arbeit des AKJ finden Interessierte außerdem auf dem Portal der Wasserbürger.

Es gibt natürlich einige Kolleginnen und Kollegen, die nicht ausschließen konnten, dass sie durch eine öffentliche Nennung  berufliche Nachteile erleiden. Wir kommen deren Bitte, ihre Namen nicht zu nennen, selbstverständlich nach, zumal der Whistleblower- bzw. Insiderschutz in DL nicht besonders gut geregelt ist. Ehrlich gesagt, halte ich das auch für eine ziemlich vorgeschobene Sache, denn die Qualität des Leitfadens lässt an der interessenspolitischen Ausrichtung nicht den allergeringsten Zweifel aufkommen. Der Vorwurf der Anonymität erscheint mir auch insofern ein abwegiges Konstrukt, da es allen Abgeordneten frei gestanden hätte, ihre juristischen Kollegen zu motivieren, sich beim Arbeitskreis einzubringen. Der Arbeitskreis unabhängiger Juristen stand allen Juristen frei und wir hätten es sehr begrüßt, wenn auch Juristen aus den Fraktionen uns mit ihrem Sachverstand bereichert hätten. Das gilt ganz besonders für die beiden Vertrauenspersonen des Volksentscheids, die Abgeordnete Heidi Kosche und die ehemalige Abgeordnete Gerlinde Schermer. Ich persönlich hatte sehr gehofft, dass wir aus deren Reihen professionelle Unerstützung erfahren. Das ist nicht geschehen.

Rudek: Herr Sydow, mehrfach wird gegen die Organklage die Verfristung ins Feld geführt. Der Vertrag ist bekannt, spätestens seit der Veröffentlichung durch den Senat sind die juristischen Sachverhalte bekannt. Eine Organklage hätte viel früher gestellt werden müssen, so die Behauptung. Wie lassen sich diese Bedenken ausräumen?

Olav Sydow: Ein Organstreitverfahren muss gemäß § 37 Abs. 3 VerfGHG-Bln innerhalb von sechs Monaten, nachdem die beanstandete Maßnahme oder Unterlassung dem Antragsteller bekannt geworden ist, gestellt werden. Im Gesetz für die vollständige Offenlegung von Geheimverträgen zur Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe wurde jedoch eine erweiterte Fristenregelung geschaffen. In § 3 ist dort geregelt, dass bestehende Verträge, Beschlüsse und Nebenabreden einer eingehenden, öffentlichen Prüfung und öffentlichen Aussprache durch das Abgeordnetenhaus unter Hinzuziehung von unabhängigen Sachverständigen bedürfen und dem Abgeordnetenhaus für die Prüfung der Verträge eine Frist von mindestens sechs Monaten einzuräumen ist. Diese Prüfung erfolgt durch den Sonderausschuss Wasserverträge, dessen Tätigkeit noch andauert. Die Frist für das Organstreitverfahren ist danach noch nicht abgelaufen. Darüber hinaus wurde in den Geheimverträgen eine Gewinngarantie zu Gunsten der privaten Anteilseigner geschaffen, die zu Lasten des Landes Berlin geht. Durch diese Klausel wird für jedes Haushaltsjahr das Haushaltsrechts des Abgeordnetenhauses umgangen, so dass auch für jedes Jahr die Verletzung von Art. 87 der Verfassung von Berlin geltend gemacht werden kann. Eine Verfristung ist daher nicht gegeben.

Sabine Finkenthei: Ich möchte noch ergänzend darauf hinweisen, dass bereits kurz nach Vorstellung des Leitfadens von Seiten der neuen Sprecher der Bürgerinitiative „Berliner Wassertisch“ – ich habe den Eindruck – händeringend ein Argument gesucht worden ist, um den Leitfaden regelrecht zu zerreißen. Und alles was man fand, war die angebliche Verfristung und die Anonymität. Diese abwertenden und unseriösen Wassertisch-Dokumente können auf der Homepage der Wasserbürger nachgelesen werden. Diese ablehnende bzw. feindselige Haltung des Wassertischs (Mehringdamm) gegenüber dem Leitfaden ist gerade vor dem Hintergrund der im Volksgesetz angelegten Fristenregelung nicht zu verstehen.

(Anmerkung Wasserbürger: Links zu den Dokumenten, aus denen die abwertenden, teilweise beleidigenden Anmerkungen des Wassertisches hervorgehen: a) interner Kommentar, der über den offiziellen e-mail-Verteiler des Wassertischs bekannt wurde; b) Stellungnahme der pensionierten Sprachwissenschaftlerin und neuen Wassertisch-Sprecherin Dr. Ulrike Kölver)

Rudek: Herr Sydow, auf der Homepage des Wassertischs (Mehringdamm) ist zu lesen, dass die Oppositionsfraktionen eine Organklage abgelehnt hätten. Haben Sie den Diskussionsverlauf der beiden erwähnten Veranstaltungen so in Erinnerung, dass eine entsprechende Schlussfolgerung gerechtfertigt erscheint?

Olav Sydow: Nach meiner Erinnerung gab es keine Festlegung der Oppositionsfraktionen bezüglich des Vorgehens gegen die Wasserverträge. Es wurde ganz im Gegenteil betont, dass man das Vorgehen noch weiter prüfen wolle. Dies lässt sich aus dem Protokoll der Sitzung des Sonderausschusses und der Audioaufzeichnung der Diskussionsveranstaltung auch ganz einfach überprüfen.

Rudek: Herr Sydow, der Fraktionsvorsitzende der Partei Die LINKE, Klaus Lederer, hat auf der Veranstaltung der Oppositionsfraktionen über die Möglichkeit einer „abstrakten Normenkontrollklage“ gegen das Berliner Betriebegesetz referiert. Wenn es um die gerichtliche Anfechtung der Teilprivatisierungsverträge geht, welches Verfahren halten Sie für zielführend, die Organklage oder die Normenkontrollklage, und warum?

Olav Sydow: Die gerichtliche Anfechtung der Teilprivatisierungsverträge müsste eigentlich durch den Senat erfolgen. Solange dieser aber untätig bleibt, ist das Organstreitverfahren der beste Weg, um die Rechtsverstöße durch die Geheimverträge geltend zu machen. Nur in diesem Verfahren werden die Geheimverträge im Hinblick auf Verfassungsverstöße vom Verfassungsgerichtshof geprüft.

Mit der abstrakten Normenkontrollklage kann die Unvereinbarkeit von Landesrecht mit der Verfassung von Berlin geltend gemacht werden.  Die Geheimverträge sind jedoch kein Landesrecht, da sie kein Gesetz und auch keine Rechtsverordnung sind, sondern privatrechtliche Verträge zwischen dem Land Berlin, vertreten durch den Senat, und den privaten Anteilseignern. Herr Lederer möchte Normen des Berliner Betriebegesetzes vom Verfassungsgerichtshof überprüfen lassen und hofft dabei, dass der Verfassungsgerichtshof nunmehr in anderer Besetzung seine Rechtsprechung zur Teilprivatisierung in Anbetracht der konkreten Vertragsgestaltung revidiert. Die konkrete Vertragsgestaltung ist allerdings nicht Prüfungsmaßstab beim abstrakten Normenkontrollverfahren. Auch bezüglich der Einwände von Herrn Lederer gegen die Vertragsgestaltung wäre das Organstreitverfahren der richtige Weg. Abgesehen davon sind die Hürden für ein abstraktes Normenkontrollverfahren viel höher als für das Organstreitverfahren. Für das abstrakte Normenkontrollverfahren muss der Antrag von einem Viertel der Mitglieder des Abgeordnetenhauses gestellt werden, während für die Zulässigkeit des Organstreitverfahrens schon ein Antrag durch eine Fraktion oder nach neuerer Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs sogar durch einen einzelnen Abgeordneten ausreichend ist.

Abschließend möchte ich noch anmerken, dass ein Organstreitverfahren und ein abstraktes Normenkontrollverfahren keine Gegensätze sind und man durchaus auch beides einleiten kann. Wichtig wäre nur, dass nach nunmehr fast anderthalb Jahren seit dem im Volksentscheid zum Ausdruck gekommenen Willen der Berlinerinnen und Berliner auch endlich etwas passiert, wobei das Organstreitverfahren das erfolgversprechendere Mittel ist.

Rudek: Auch der Berliner Wassertisch (Mehringdamm), genauer die ehemalige SPD-Abgeordnete Gerlinde Schermer, setzt sich für eine Normenkontrollklage ein. Da Sie, Frau Finkenthei, das Wasser-Volksbegehren von Anfang an begleitet haben und bis zu ihrem Ausschluss vom Wassertisch den Aktivisten Rede und Antwort standen, zum einen die Frage, ob sich der juristische Arbeitskreis mit der Normenkontrollklage nicht befasst hat, und zum anderen, ob Frau Schermer von Ihnen über die Vor- und Nachteile nicht informiert worden ist?

Sabine Finkenthei: Selbstverständlich haben wir uns auch mit der Möglichkeit einer Normenkontrollklage auseinandergesetzt. Wir haben die Normenkontrollklage aber verworfen, weil sie weder unmittelbar noch mittelbar ein geeignetes Verfahren darstellt, die Teiprivatisierungsverträge entweder insgesamt oder teilweise anzufechten. Mit anderen Worten: Wir haben leider nicht einen Präzedenzfall gefunden, mit dem es gelungen ist, privatrechtliche Verträge über das Instrument einer Normenkontrollklage anzufechten. Auch ging es uns nicht darum, einzelne Rechtsverstöße aufzuzeigen, sondern einen Weg zu finden, der geeignet ist, um die Teilprivatisierungsverträge zum Gegenstand einer gerichtlichen Auseinandersetzungen zu erheben. All diese Überlegungen sind den Aktivisten des Wassertischs mitgeteilt worden und leider ignoriert worden. Wenn Frau Schermer jetzt die Möglichkeiten der Organklage verwirft, verliert sie auch ihre Glaubwürdigkeit als Vertrauensperson des Volksentscheids, denn Ziel des Volksentscheids zur Offenlegung der Verträge war und ist die Vertragsanfechtung und nicht eine Normenkontrollklage gegen das Betriebegesetz. Das Gleiche gilt für die grüne Abgeordnete Heidi Kosche, die sich auch als Vertrauensperson während des Volksbegehrens profilierte. Um es noch einmal in aller Deutlichkeit herauszustellen: Selbst wenn eine Normenkontrollklage gegen das Betriebegesetz erfolgreich verlaufen sollte, ist damit nichts gewonnen, weil die vertraglich vereinbarte Gewinnausfallgarantie der Konzerne nach wie vor bestehen würde. Es wäre ein Scheingefecht. Sollten Frau Schermer und Frau Kosche unseren Ausführungen keinen Glauben schenken, dann sollten sie sich die Antwort des Senats auf die Fragen der Fraktionen durchlesen. Dort steht schwarz auf weiß auf Seite 12:

„Was würde geschehen, wenn das Abgeordnetenhaus das BerlBG dahingehend änderte, dass die Verzinsung des BNK deutlich geringer angesetzt wird als nach gegenwärtiger Gesetzeslage?
In § 23 des Konsortialvertrags (KonsV) sind ausführliche Nachteilsausgleichs­regelungen enthalten, welche die privaten Investoren vor für sie nachteiliger Gesetzgebung des Landes schützen. Wenn das Berliner Betriebe-Gesetz geändert werden würde und den privaten Anteilseignern im Vergleich zum Vertragsabschluss 1999 Nachteile hieraus erwachsen würden, wäre das Land gegenüber den privaten Gesellschaftern nach § 23.3 KonsV verpflichtet, den Nachteil aus seinem Gewinnan­teil oder dem Landeshaushalt  auszugleichen. Für die Beurteilung einer Ausgleichs­verpflichtung kommt es also im Einzelfall auf die einzelne ergriffene Maßnahme an.“

Rudek: Herr Sydow, Sie haben auf beiden Veranstaltungen nicht nur den Leitfaden und die Möglichkeit der Vertragsanfechtung mittels einer Organklage vorgestellt, sondern konnten auch die Gegenargumente eines Gutachtens, das vom Wissenschaftlichen Parlamentarischen Dienstes (WPD) vorgelegt wurde, substanziell entkräften.  Können Sie die Argumente des WPD und Ihre Entgegnung für die Leser zusammenfassen?

Olav Sydow: Die wesentliche Frage bei den Geheimverträgen ist die Frage, ob die Gewinngarantie für die privaten Anteilseigner im Konsortialvertrag eine Sicherheit im Sinne von Art. 87 Abs. 1 der Verfassung von Berlin darstellt, für die es eine gesetzliche Regelung  gebraucht hätte. Die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung verlangt dafür, dass eine solche Sicherheitsleistung ein Hauptzweck des Vertrages sein muss.

Der wissenschaftliche Parlamentsdienst vertritt in seinem Gutachten die Auffassung, dass die Gewinngarantie kein Hauptzweck des Konsortialvertrages ist, da diese Regelung nur ein Teilbereich des gesamten Vertragswerks sei, dass die Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe regelt.
Ob die Gewinngarantie im Konsortialvertrag einen Hauptzweck darstellt, ist aber nicht anhand des Umfanges des Vertrages zu bestimmen, sondern anhand der Bedeutung der Regelung für die Parteien. Es wird eine eigene Pflicht begründet und diese Regelung hat eine eigenständige Bedeutung im Sinne einer Hauptleistungspflicht, da darin die Höhe der zugesicherten Gewinnausschüttungen für die privaten Anteilseigner geregelt ist. Dies war Grundlage für ihre Entscheidung, 3,05 Milliarden DM für die Anteile zu zahlen. Das „Return on Investment“ stellt das unternehmerische Hauptinteresse dar.  Die Absicherung der Rendite ist für die privaten Anteilseigentümer nicht nur von erheblicher Bedeutung. Das Streben nach Gewinn ist das konstituierende Merkmal des Betriebes in der Marktwirtschaft.

Dementsprechend haben sich die privaten Anteilseigentümer auch bereits unmittelbar nach dem Urteil des Verfassungsgerichtshofes vom 21. Oktober 1999 an den Senat gewendet und nachgefragt, ob das Land Berlin auch weiterhin seinen Verpflichtungen aus § 23.7 des Konsortialvertrages nachkommt. Dies haben die Senatsverwaltungen für Wirtschaft und Betriebe und Finanzen dann mit Schreiben vom 29. Oktober 1999 nochmals ausdrücklich bestätigt. Das zeigt deutlich auf, dass die Regelung in § 23.7 höchste Bedeutung und Priorität für die privaten Anteilseigentümer hat und damit für das Bestehen des gesamten Vertrages. Im Übrigen können in einem Vertrag natürlich auch mehrere Hauptleistungspflichten geregelt sein. In der Gewinngarantie im Konsortialvertrag liegt daher eine Sicherheitsleistung, die einer gesetzlichen Regelung bedurft hätte. Bezeichnenderweise wäre eine solche gesetzliche Regelung, wenn es sie denn gegeben hätte, nach dem Urteil des Verfassungsgerichtshofes vom 21. Oktober 1999 aber nichtig gewesen. Dies zeigt auf, dass sowohl der Senat als auch die privaten Anteilseigner bösgläubig handelten.

(Anmerkungen Wasserbürger: Bitte lesen Sie die Stellungnahme vom RA Sydow, in der auch die „Argumente“ des WPD-Gutachtens widerlegt werden)

Rudek: Frau Finkenthei, auf der Anhörung des Sonderausschusses gab es einen Eklat. Ursprünglich sollten auch Vertreter des Wissenschaftlichen Parlamentarischen Dienstes zugegen sein, doch die Vertreter der Regierungsfraktionen entschieden kurzfristig anders, eine Entscheidung, die von Seiten der Oppositionsfraktionen auf das Heftigste kritisiert wurde. Hätten Sie und Herr Sydow die Anwesenheit des WPD als Mitdiskutanten begrüßt?

Sabine Finkenthei: Natürlich, zumal wir in einem direkten Austausch die Argumente gewiss besser hätten auf den Punkt bringen können. Der Unterschied in den Argumentationslinien hätte an der ein oder anderen Stelle wahrscheinlich den Abgeordneten noch plastischer vor Augen geführt werden können – die meisten Abgeordneten des Sonderausschusses sind ja leider keine Juristen. Dennoch an RA Sydow, der sowohl die inhaltliche Darstellung des Leitfadens als auch unsere Hauptkritikpunkte an dem WPD-Gutachten dargestellt hat, ein großes Kompliment. Und was die Vertretung des WPD betrifft, da haben wir erfahren, dass diese den Termin vorgemerkt hatten. Daher ist die Empörung der Abgeordneten nicht nachzuvollziehen: Die Vertreter der Opposition hätten nur den WPD anrufen müssen und der WPD wäre anwesend gewesen und hätte in die Diskussion einbezogen werden können. Denn schließlich steht der WPD nicht im Dienst der Regierungsfraktionen, sondern steht auch der Opposition zur Verfügung. Es ist zu befürchten, dass der WPD seine Rechtsauffassung auf einer anderen Veranstaltung vorstellen soll, ohne dass wie die Möglichkeit erhalten, die Widersprüche, Falschdarstellungen und andere Fehler kommentieren zu können.

Olav Sydow: Nachfolgend fand am 11. Juni 2012 auch noch eine vierstündige juristische Diskussionsrunde der Oppositionsfraktionen statt. Vor Beginn der  Veranstaltung fragte ich, ob denn wenigstens zu dieser Veranstaltung der  wissenschaftliche Parlamentsdienst eingeladen wurde. Dies war jedoch nicht erfolgt. Wir hätten gerne vor dem Sonderausschuss und/oder bei der Diskussionsrunde mit dem wissenschaftlichen Parlamentsdienst diskutiert. Beides war jedoch nicht möglich. Im Sinne eines klärenden und eingehenden Austausches hätte ich dieses sehr begrüßt. Warum dies weder im Sonderausschuss noch bei der Diskussionsrunde ermöglicht wurde, kann ich überhaupt nicht nachvollziehen.

Rudek: Herr Sydow, einmal angenommen, es erklären sich Abgeordnete bereit, die Organklage basierend auf dem Leitfaden durchzuführen und der Verfassungsgerichtshof entscheidet, dass der Vertrag gegen das Budgetrecht und somit gegen die Verfassung verstößt. Was hätte das für Konsequenzen?

Olav Sydow: Zunächst einmal wäre damit der Verfassungsverstoß festgestellt. Da der Senat an Recht und Gesetz gebunden ist, ist er dann grundsätzlich verpflichtet, so schnell wie möglich einen verfassungsmäßigen Zustand herzustellen. Dies ist nach Lage der Dinge nur durch eine Vertragsanfechtung zu erreichen. Mit der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs als Grundlage dürfte eine solche Vertragsanfechtung auch mit sehr hohen Erfolgsaussichten gerichtlich durchsetzbar sein. Ich halte es für recht wahrscheinlich, dass der Verfassungsgerichtshof in diesem Rahmen auch etwas Grundsätzliches zu Public-Private-Partnership-Verträgen sagt und eine Rechtsfortbildung stattfindet, die auch dringend nötig ist.   Wenn der Senat selbst dann noch untätig bleiben sollte, könnte auch durchaus eine Nichtigkeitsfeststellungsklage gemäß § 256 ZPO oder § 43 VwGO durch das Abgeordnetenhaus erfolgen, dabei in Prozessstandschaft auch durch einzelne Fraktionen oder Abgeordnete. Für das Organstreitverfahren hat der Verfassungsgerichtshof ja bereits entschieden, dass auch ein Antrag von einzelnen  Abgeordneten zulässig ist.

Rudek: Frau Finkenthei, um noch einmal die Bedeutung der gesetzlichen Grundlage herauszustellen: In der Vorstellung des Leitfadens vor dem Sonderausschuss unterstrichen Sie nochmals, dass es mit der Zustimmung des Abgeordnetenhauses zu den Verträgen allein nicht getan ist. Was wäre, wenn die Abgeordneten jetzt eine gesetzliche Regelung verabschieden würden?

Sabine Finkenthei: Hier zitiere ich gerne aus dem Leitfaden (S. 23): „Darüber hinaus könnte die erforderliche gesetzliche Grundlage für die in § 23.7 des Konsortialvertrags vorgesehene Sicherheitsleistung, wenn sie jemals erlassen würde, keinen Bestand haben. Denn sie wäre verfassungswidrig und im Augenblick ihrer Verabschiedung nichtig. Ein Gesetz, das sich seinem Inhalt nach als Legitimationsbasis auch für die Effizienzsteigerungsklausel eignen würde, ist ausweislich der Entscheidung des BerlVerfGH von 1999 mit der VvB nicht vereinbar.“

Rudek: Abschließend an Sie beide die Frage, wie Sie die Rückkaufverhandlungen zwischen Finanzsenator Nußbaum und den privaten Anteilseignern beurteilen. Besteht die Gefahr, dass durch einen abgeschlossenen Rückkaufvertrag spätere Gerichtsurteile über die Gültigkeit der Verträge keine Auswirkungen haben?

Olav Sydow: Ein Rückkaufvertrag kann nur für die Zukunft den verfassungswidrigen Zustand der Umgehung des Parlaments durch die Geheimverträge beseitigen, nicht jedoch für die Vergangenheit. Was die Frage der Vertragsanfechtung angeht, ist dies nicht so einfach zu sagen. Dabei kommt es auch darauf an, ob und welche Regelungen in den Rückkaufverträgen für den Fall der Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Geheimverträge aufgenommen werden und ob solche Regelungen wirksam sind. Dies lässt sich ohne Kenntnis des Rückkaufvertrages nicht sagen. Daher ist höchste Vorsicht und Aufmerksamkeit bezüglich der Regelungen im Rückkaufvertrag geboten.

Sabine Finkenthei: Beiden Parteien sind die laufenden europarechtlichen Verfahren wie die Möglichkeiten einer Organklage bekannt, die im Gegensatz zu der Darstellung des Wassertischs – Herr Sydow hatte es erwähnt – von den Fraktionen noch nicht verworfen worden sind. Das Land Berlin wie das Abgeordnetenhaus wäre gut beraten, beim Rückkaufvertrag darauf zu achten, dass entsprechende Vorbehaltsklauseln eingebaut werden. Wir hatten kürzlich anlässlich der Übergabe eines offenen Briefs die Gelegenheit eines Gesprächs mit Senator Nußbaum, in der er uns mitteilte, dass zumindest eine Vorbehaltsklausel hinsichtlich des Ausgangs des von uns initiierten europäischen Beschwerdeverfahrens im Rückkaufvertrag enthalten sein soll. Auch die Allianz der öffentlichen Wasserwirtschaft wies in ihrer Presseerklärung kürzlich auch auf das noch offene Beschwerdeverfahren der EU hin, und forderte, dass die sich „möglicherweise noch ergebenden Forderungen an die privaten Konzerne …mit den Rückkaufsverträgen nicht verbaut werden“ sollten. Für den Fall der Nichtigkeit muss in  den Rückkaufvertrag auch ein entsprechender, eindeutiger Passus verankert werden.

Vor dem Hintergrund der Summen, die im Gespräch sind, – ich hörte von einer Landesbürgschaft in Höhe von 700 Millionen Euro nur für die RWE-Anteile – stellt sich auch wiederum die Frage, ob im Fall eines überhöhten Rückkaufwertes hier nicht auch ein Verstoß gegen das europäische Beihilferecht geltend gemacht werden kann.

Thomas Rudek: Herzlichen Dank für das Gespräch und Ihnen und den Kollegen des Arbeitskreises unabhängiger Juristen weiterhin viel Erfolg.

 

 

 

This entry was posted in Kommentare und Stellungnahmen, Lesenswertes. Bookmark the permalink.

Comments are closed.