Aus den Reihen prominenter Vertreter des kulturellen Sektors ist der Volksentscheid auch durch den Schriftsteller und Direktor der Sektion Literatur der Akademie der Künste Ingo Schulze vorbildlich unterstützt worden. Ingo Schulze setzt sich auch in seinen Veröffentlichungen gegen die propagierte Alternativlosigkeit der marktkonformen Demokratie zur Wehr. Wer noch ein geeignetes Weihnachtsgeschenk sucht, dem empfehlen die Wasserbürger die jüngste Veröffentlichung von Ingo Schulze: „Unsere schönen neuen Kleider – Gegen die marktkonforme Demokratie – für demokratiekonforme Märkte“
Wasser-Volksentscheid auf dem Prüfstand
Ingo Schulze im Gespräch mit Sabine Finkenthei, Juristin vom Arbeitskreis unabhängiger Juristen (AKJ) und Thomas Rudek, dem Verfasser des Volksgesetzes
Ingo Schulze.: Als ich über das Wasser-Volksbegehren und die geheimen Verträge zur Teilprivatisierung informiert wurde, war ich über die Geschäftemacherei mit dem wichtigsten Lebensmittel direkt vor meiner Haustür einerseits schockiert, andererseits froh, dass Sie und Ihre Mitstreiter einen Weg gefunden haben, diese Vorfälle aufzudecken und Licht ins Dunkel der Teilprivatisierung zu bringen. Wenn wir jetzt die jüngsten Meldungen aus der Tagespresse verfolgen, dann entsteht der Eindruck, dass mit dem Rückkauf der RWE-Anteile das Ziel der Rekommunalisierung in greifbare Nähe rückt. Können Sie diesen Eindruck bekräftigen?
Sabine Finkenthei: Mit dem Volksgesetz zur Offenlegung der geheimen Teilprivatisierungsverträge wollten wir vor allem erreichen, dass die Verträge juristisch geprüft und gerichtlich angefochten werden. Obwohl wir vom Arbeitskreis unabhängiger Juristen aufgezeigt haben, dass die vertraglich zugesicherten Gewinngarantien nach unserer Auffassung einer gesetzlichen Grundlage bedurft hätten, die nicht geschaffen worden ist, scheinen die Abgeordneten kein Interesse zu haben, diesen Verfassungsverstoß gegen das parlamentarische Budgetrecht vor dem Verfassungsgerichtshof einzuklagen.
Ingo Schulze: Mir erschließt sich noch nicht die Bedeutung einer Verfassungsklage. Erübrigt sich diese nicht, wenn RWE jetzt bereit ist, sich aus dem Berliner Wassergeschäft zurückzuziehen?
Sabine Finkenthei: Diesen Rückzug lässt sich RWE mit 654 Mio. Euro teuer bezahlen. Die Vertragsanfechtung ist für das Ziel einer kostengünstigen Rekommunalisierung entscheidend. Die Verträge sind die Geschäftsgrundlage der Teilprivatisierung. Erst wenn diese Geschäftsgrundlage zunächst durch eine Verfassungsklage mit einer anschließenden zivilrechtlichen Nichtigkeitsklage vor den zuständigen Gerichten zu Fall gebracht worden ist, haben die privaten Anteilseigner keine Grundlage, aus der Rekommunalisierung ein profitables Geschäft zu machen.
Thomas Rudek: Entscheidend ist, dass im Fall einer erfolgreichen Nichtigkeitsklage die privaten Anteilseigner natürlich einen Anspruch darauf haben, dass ihnen die Kosten für ihren ursprünglichen Einstieg in die Berliner Wasserbetriebe mit einer Summe von 1,68 Mrd. Euro rückerstattet werden. Allerdings – und DAS ist von zentraler Bedeutung – müssten all die erwirtschafteten Gewinne gegengerechnet werden. Wir haben gemeinsam mit dem Bund der Steuerzahler, dem Verband Deutscher Grundstücksnutzer wie dem AKJ berechnet, dass in diesem Fall RWE lediglich einen Anspruch auf etwas mehr als 250 Mio. € hätte. Das wäre im Gegensatz zu dem jetzigen Rückkaufvertrag ein haushaltspolitischer Entlastungseffekt von über 400 Mio. €!
Ingo Schulze: Eine erfolgreiche Vertragsanfechtung würde somit Spielräume für eine wesentlich günstigere Rekommunalisierung eröffnen: Statt 654 Mio. Euro müssten nur 250 Mio. € berappt werden. Nun ist die Vertragsanfechtung über ein Organstreitverfahren, das nur Abgeordnete durchführen können, umstritten. Der parlamentarische Sonderausschuss zur Prüfung der Wasserverträge hatte den Wissenschaftlichen Parlamentarischen Dienst (WPD) beauftragt, das Gutachten des AKJ wiederum zu begutachten. Im WPD-Gutachten werden dem Organstreitverfahren keine hohen Erfolgsaussichten eingeräumt.
Sabine Finkenthei: Gewiss kennen Sie den Spruch: Sie fragen vier Juristen zu einer Frage und bekommen fünf verschiedene Antworten (Zwischenbemerkung lachend T.R.: mindestens!). Und so kann ich beispielsweise auch Prof. Musil zitieren, der auch als Sachverständiger der Regierungsfraktionen von dem Sonderausschuss angehört worden ist, und der einer Organklage hohe Erfolgsaussichten einräumte. Was ich damit sagen will: Es gibt – und das ist unbestritten – zu den offenen Rechtsfragen der Teilprivatisierungsverträge unterschiedliche Rechtsauffassungen. Umso wichtiger ist es, in einem solchen Fall und gerade vor dem Hintergrund des erfolgreichen Volksentscheids, diese offenen Rechtsfragen einer abschließenden Rechtsklärung zuzuführen. Und diese abschließende Rechtsklärung kann nicht im Rahmen eines Gutachterstreits oder durch Rechtsexperten herbeigeführt werden, sondern nur durch die Gerichte, genauer durch die höchstrichterliche Rechtsprechung des Berliner Verfassungsgerichtshofs. Gutachter vertreten Rechtsmeinungen, Gerichte entscheiden über die herrschende Rechtsmeinung. Wir als AKJ würden eine gerichtliche Klärung ausdrücklich begrüßen, zumal wir dadurch auch Rechtssicherheit gewinnen. Die Abgeordneten hingegen scheinen eine höchstrichterliche Klärung zu fürchten und wollen diese unter allen Umständen vermeiden.
Ingo Schulze: Nun sind Prozesse auch mit Kostenrisiken verbunden. Könnten diese Risiken möglicherweise ein Grund für die Zurückhaltung der Abgeordneten sein?
Sabine Finkenthei: Das ist nicht anzunehmen, zumal es bei der Verfassungsklage kein Prozesskostenrisiko gibt. In unserem Fall eines Organstreitverfahrens hat sich sogar Rechtsanwalt Olaf Sydow, der auf dem Gebiet des Verfassungsrechts auch Prozesserfahrung vorweisen kann, vorbildlich bereit erklärt, die Organklage kostenfrei auf Basis eines Erfolgshonorars durchzuführen. Bisher hat kein Abgeordneter von diesem Angebot Notiz genommen.
Thomas Rudek: Besonders enttäuschend ist die Zurückhaltung der Oppositionsfraktionen, vor allem die der Piraten. Wer nicht einmal den Versuch einer juristischen Anfechtung unternimmt, wird sich die Frage gefallen lassen müssen, ob die Forderung nach mehr Transparenz nicht mehr ist als ein PR-Instrument, wenn nach der Herstellung transparenter Verhältnisse weder Bereitschaft noch Kompetenz vorhanden sind, juristische Schritte in die Wege zu leiten. Die Piraten als Transparenzpartei erscheinen als inhaltsleere Seifenblase – leider.
Ingo Schulze: Ist es nicht ein kleines Trostpflaster, wenn die Regierungsfraktionen ankündigen, dass jetzt die Trinkwasserpreise um 60 Mio. € gesenkt werden sollen?
Thomas Rudek: Auch das ist leider nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Was sind schon 60 Mio. €, wenn in diesem Jahr der Vorstand der Wasserbetriebe immer noch eine Gewinnabführung in Höhe von 222 Mio. € und für das nächste Geschäftsjahr eine Gewinnabführung in Höhe von 205 Mio. € veranschlagt? Und das sind die offiziellen Zahlen, die der Senat dem Sonderausschuss im Mai dieses Jahres vorgelegt hat. Und wie wir wissen, werden die Wasserpreise spätestens im Jahr 2014 wieder kräftig steigen.
Ingo Schulze: Es entsteht der Eindruck, die Regierungsfraktionen stecken uns ein wenig in die eine Tasche, in der Hoffnung, dass wir nicht merken, dass uns aus der anderen Tasche wesentlich mehr entwendet wird. Es ist festzuhalten, dass es bei der Rekommunalisierung der Berliner Wasserbetriebe um sehr hohe Beträge geht und die Wege zu einer kostengünstigen Rekommunalisierung von den politisch Verantwortlichen nicht eingeschlagen werden. Wie verkraften Sie diesen Rückschlag und diese Ignoranz?
Sabine Finkenthei: In Anbetracht der Größenordnungen um die es geht, wäre es naiv, anzunehmen, dass uns gerade nach dem Volksentscheid nicht noch ein größerer Widerstand entgegengebracht wird als das ohnehin zuvor der Fall war. Was mich jedoch verwundert, ist die konforme Hofberichterstattung der Berliner Medienlandschaft. Wir haben seriös Wege erarbeitet und aufgezeigt, Pressekonferenzen in dem seriösen Umfeld der Verbraucherzentrale organisiert, alternative Berechnungen gemeinsam mit anderen seriösen Organisationen wie dem Bund der Steuerzahler und dem Verband Deutscher Grundstücksnutzer aufgezeigt und gleichzeitig auf die Mängel bei dem Rückkaufdeal und auch bei der Preissenkungsverfügung des Bundeskartellamts verwiesen. Doch hier besteht ein Meinungskartell, bei dem der Senat und die privaten Investoren die Fäden zu ziehen scheinen.
Ingo Schulze: Gerade vor dem Hintergrund dieser vielfältigen Widerstände einerseits und andererseits Ihrem ehrenamtlichen, ausdauernden Kampf um die Daseinsvorsorge, der sich auch schon über einen Zeitraum von über sieben Jahren erstreckt, möchte ich mich bei Ihnen und all den Mitstreitern ganz herzlich bedanken und uns auch weiterhin die notwendige Energie und Zuversicht wünschen.