Interview mit Sabine Finkenthei: Erste Schritte gegen die Geheimverträge sind eingeleitet – Weitere folgen!

Exklusiv vorab das ungekürzte Interview der August-Ausgabe des „Raben Ralf“, der Umweltzeitung der GRÜNEN LIGA Berlin

Nach dem Wasser-Volksentscheid: Jetzt schlägt die Stunde der Experten / Erste Schritte gegen die Geheimverträge sind eingeleitet – Weitere folgen!

Nach dem gewonnenen Volksentscheid am 13.2. begann die eigentliche Arbeit: Die offen gelegten Verträge müssen juristisch geprüft werden. Seit Anfang März hat sich unter dem Dach der GRÜNEN LIGA Berlin eine Arbeitsgruppe von 10 Juristen gefunden, die auf rein ehrenamtlicher Basis diese Herausforderung in Angriff genommen hat. Erste Ergebnisse liegen vor und sind auf einer Pressekonferenz am 19. Juli vorgestellt worden. Die Volljuristin Sabine Finkenthei, die die Arbeitsgruppe koordiniert und eng mit dem EU- und Kartellrechtler Prof. Keßler, Vorstandsvorsitzender der Verbraucherzentrale, zusammenarbeitet, steht dem Raben Ralf für ein Interview zur Verfügung.

RR: Zunächst unseren Glückwunsch, dass es gelungen ist, mehrere Juristen zur Mitarbeit zu gewinnen. Wer sich mit der Veröffentlichung des ersten Arbeitsergebnisses näher befasst, der gewinnt nicht nur einen Einblick in die Komplexität der Thematik, sondern auch den Eindruck, dass jetzt die Stunde der Experten schlägt.

Sabine Finkenthei: Es dürfte sich weniger um Stunden als um Wochen handeln. Allein die Vorarbeiten haben viel Zeit in Anspruch genommen. Doch es ist richtig: Jetzt ist natürlich juristischer Sachverstand gefragt und zwar nicht nur, was die Prüfung der Verträge betrifft, sondern auch für die Rechtsanwendung des Gesetzes ist juristische Expertise gefragt.

RR: Ist das Gesetz denn noch nicht in Kraft? Oder anders gefragt: Ist noch nicht alles offen gelegt?

SF: Genau diese Frage muss von Experten geprüft werden. Und hier stellt sich die Frage, welche „Experten“ bzw. Kanzleien der Senat beauftragt. Wir hatten durch die Vermittlung von Transparency International Kontakte zu Wirtschaftssenator Harald Wolf und darum gebeten, dass er uns als Volksgesetzgeber ein Vorschlagsrecht einräumen sollte. Leider ist diese Entscheidung immer noch anhängig. Fest steht jedoch für uns: Wenn der Senat wieder eine seiner „renommierten“ Kanzleien beauftragt, dann haben wir keinen Anlass, dem Prüfergebnis zu vertrauen.

RR: Sind Alternativvorschläge eingebracht worden?

SF: Natürlich. Zuerst hielten wir es auch auf Vermittlung von TI für hilfreich, dass wir die Prüfung nicht durch eine private Kanzlei durchführen lassen, sondern vom Landesrechnungshof, da hier auch wirtschaftliche Kompetenz vorhanden ist. Das hat der Landesrechnungshof leider abgelehnt. Als Alternative dachten wir dann an den Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit, Dr. Dix. Doch dazu kam es leider auch nicht. Da wir in unserer unabhängigen Arbeitsgruppe auch Unterstützung durch eine Kanzlei haben, die sowohl Erfolge in der Anwendung des Informationsfreiheitsgesetzes (IFG) vorweisen kann, und die darüber hinaus auch mit einem Wirtschaftsprüfer zusammen arbeitet, erscheint uns diese Kanzlei als sehr geeignet. Wir hatten ein mehrstündiges Gespräch mit dem promovierten Juristen und seinen Mitarbeitern und konnten uns davon überzeugen, dass seine Kanzlei besonders geeignet ist, zu prüfen, welche Rechtsdokumente in Folge des Volksentscheids noch offen gelegt werden müssen und welche nicht. Leider haben wir auf unseren Vorschlag noch keine Zusage.

RR: Der Senat will es bei einer seiner renommierten Kanzleien belassen?

SF: Ich hoffe nicht, denn es ist jetzt wichtig, andere, kritische Kanzleien zu beauftragen als immer wieder auf die alt-vertrauten Kontakte zu setzen, und da sollte uns ein Vorschlagsrecht zugestanden werden. Wir brauchen neue Impulse, wenn wir die Teilprivatisierung beenden wollen.

RR: Was die bereits offengelegten Verträge betrifft, da sind diese neuen Impulse jetzt vorgestellt worden. In nur 5 Monaten konnten bereits die ersten juristischen Schritte gegen die Verträge in die Wege geleitet werden. Ganz grob zusammengefasst, geht es im ersten Arbeitsergebnis darum, dass gegenüber der Europäischen Kommission die Ansicht vertreten wird, dass die Gewinngarantien in den Geheimverträgen eine Subvention sind und gegen das Beihilferecht verstoßen. Außerdem seien auch die Ausschreibungsregeln nicht eingehalten worden.

SF:  Das stimmt in der Tendenz. Wir haben ein Schreiben an die EU-Kommission verfasst, um ein so genanntes Vertragsverletzungsverfahren herbeizuführen, weil wir uns von diesem Weg am ehesten einen Erfolg erhoffen. Dazu mussten wir nicht nur eine Meinung in Form einer Rechtsansicht formulieren, sondern detailliert mit einer argumentativen Beweisführung unsere Rechtsansicht untermauern. So etwas zu entwickeln, ist nicht einfach. Ein wichtiger Baustein in dieser Argumentation ist beispielsweise der Nachweis, dass ein privates Unternehmen anstelle des Landes Berlin eine Verpflichtung, die das Betriebs- und Finanzierungsrisiko derart einseitig zu seinen Lasten verteilt, unter keinen Umständen eingegangen wäre.

RR: Wie ist die Einschätzung? Welches Gewicht wird die Kommission dem Antrag auf Einleitung eines Beschwerdeverfahrens beimessen?

SF: Zunächst steht es jedem Bürger frei, dieses Beschwerdeverfahren in Anspruch zu nehmen. Um dem Schreiben jedoch mehr Gewicht zu verleihen, haben wir uns in der AG entschieden, das Schreiben nicht als Einzelpersonen einzureichen, sondern über Bündnispartner. Thomas Rudek konnte Frau Prof. Müller, die Vorstands­vorsitzende von Transparency International und Prof. Keßler gewinnen. Prof. Keßler hat ja nicht nur als Vertrauensperson den Volksentscheid unterstützt, sondern uns mit seiner Kompetenz als EU- und Kartellrechtler maßgeblich mit Rat und Tat zur Seite gestanden. Auch unser Schreiben konnte dank seiner Mitwirkung noch verbessert werden. Darüber hinaus ist er auch für die Verbraucherzentrale Mitglied im EWSA (Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss). Die Auseinande­r­setzung um die Zulässigkeit der Geheimverträge ist nicht einfach und da ist es gut, kompetente Partner an seiner Seite zu wissen, wie überhaupt die Zusammenarbeit mit Prof. Keßler für uns immer sehr fruchtbar und hilfreich war.

RR: Also ein guter Schachzug, verbunden mit der Hoffnung, dass durch die Einbeziehung von Frau Prof. Müller und Prof. Keßler das Schreiben von Seiten der EU-Kommission die nötige Aufmerksamkeit beigemessen wird?

SF: Exakt, denn neben der fachlich kompetenten Unterstützung spielt natürlich auch die Psychologie eine wichtige Rolle, wenn es um die abschließende Klärung juristischer Streitfragen geht.

RR: Wie geht es weiter mit der Arbeitsgruppe?

SF:  Nachdem wir die Möglichkeiten des Europarechts erstmal ausgeschöpft haben, beschäftigen wir uns jetzt mit verfassungs-, haushalts- und zivilrechtlichen Aspekten. Zu diesen Bereichen sind bereits die Fragestellungen formuliert worden, die jetzt abgearbeitet werden müssen. Sehr erfreulich ist es, dass Thomas Rudek mit einem Verleger in Kontakt getreten ist, der bereit ist, unsere juristischen Ergebnisse zu publizieren, ohne dass uns hierdurch Kosten entstehen. So hoffen wir, noch vor der Wahl im September allen Berlinern und Politikern unseren „Argumentationsleitfaden“ vorstellen zu können.

RR:  Der Rabe bedankt sich für das Gespräch und freut sich auf den Leitfaden mit guten Argumenten!

Kontakt:
S.Finkenthei@gmx.de Tel: 030 / 693 08 42 oder mobil: 0176 / 25 21 37 26

 

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