In eigener Sache zum EU-Rundumschlag und der Lernresistenz der herrschenden Führungselite

Persönlicher Hinweis / Klarstellung: Als ich über diverse Verteiler anlässlich der Europa-Wahl und der anschließenden Berichterstattung zu einem kleinen Rundumschlag ausgeholt hatte, erreichten mich Rückmeldungen, die sich vor allem über mein abschließendes Fazit über die Lernresistenz der Führungskräfte in Politik und Medien wunderten. Gewiss waren meine Beispiele zur Klimapolitik und der Diskussion um die E-Mobilität des Individualverkehrs oder das Modell der Umlagefinanzierung der energetischen Gebäudesanierung zu Lasten der Mieter nur kleine Beispiele für die von mir behauptete Lernresistenz. Warum ich dennoch überzeugt bin, dass diese Beispiele repräsentativ sind und ich daher für einen anderen, offensiven Umgang mit Entscheidungsträgern plädiere, hängt auch mit meinen Erfahrungen mit dem ersten erfolgreichen Volksentscheid in Berlin zusammen! Es ging um ein Volksgesetz, dass die gesetzliche Offenlegung von Geheimverträgen einforderte, die im Zusammenhang mit der Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe und den Konzernen RWE und Veolia abgeschlossen worden waren. Als ich damals den Gesetzestext formulierte, war ich noch davon überzeugt, dass wir nach der Offenlegung bei der Überprüfung kooperativ natürlich auch das Parlament einbeziehen. Daher formulierte ich den § 3 folgendermaßen (der vollständige Text kann auf der Homepage der Landeswahlleiterin unter diesem Link eingesehen werden):

§ 3 Zustimmungs- und Prüfungspflicht
Alle Verträge, Beschlüsse und Nebenabreden gemäß § 1 dieses Gesetzes sowie Änderungen bereits bestehender Verträge, die den Haushalt Berlins auch hinsichtlich möglicher zukünftiger Folgen im weitestgehenden Sinne berühren könnten, bedürfen der Zustimmung des Abgeordnetenhauses von Berlin. Bestehende Verträge, Beschlüsse und Nebenabreden bedürfen einer eingehenden, öffentlichen Prüfung und öffentlichen Aussprache durch das Abgeordnetenhaus unter Hinzuziehung von unabhängigen Sachverständigen. Für die Prüfung der Verträge ist dem Abgeordnetenhaus eine Frist von mindestens sechs Monaten einzuräumen.

Die Passage auf die es ankommt, ist extra hervorgehoben. Sie verdeutlicht, nicht nur die ausdrückliche Kooperationsbereitschaft, sondern auch die Anerkennung der Kompetenz des Abgeordnetenhauses zur Prüfung der Verträge auf ihre Rechtmäßigkeit. Es ist auch ein Sonderausschuss gegründet worden und es sind – wie üblich – auch zahlreiche Sachverständige eingeladen worden. Unmittelbar nach dem Volksentscheid hatte sich auch unter dem Dach der GRÜNEN LIGA Berlin e.V. ein Arbeitskreis unabhängiger Juristen (AKJ) gegründet, dem 10 Juristen, die meisten promoviert, angehörten. Auch hier habe ich auf Unterstützung durch Juristen aus dem Abgeordnetenhaus gehofft. Leider fand sich hier weder ein Abgeordneter, noch ein Jurist aus dem Umfeld von Abgeordneten, der bereit gewesen wäre, im AKJ mitzuarbeiten. Immerhin hat der AKJ einen juristischen Leitfaden erarbeitet, der aufgezeigt hat, wie das Abgeordnetenhaus mit einer sogenannten Organklage gegen die Teilprivatisierungsverträge hätte vorgehen können. Auch wenn der AKJ, vertreten durch RA Olaf Sydow und die Juristin Sabine Finkenthei, im Sonderausschuss angehört worden sind, so wurde der Verfahrensvorschlag nicht aufgegriffen, sondern ignoriert. RA Sydow, der nicht nur beim Verfassungsgericht in Karlsruhe akkreditiert ist und eine positive Prozessbilanz vorweisen kann, hat sogar in einem schriftlichen Brief jedem einzelnen Abgeordneten angeboten, die kostenfreie Vertretung in einem Organstreitverfahren zu übernehmen. Kein einziger Abgeordnete setzte sich mit RA Sydow oder mit uns in Verbindung. Und im Abschlussbericht des Sonderausschusses wurde peinlich genau darauf geachtet, der der Leitfaden des AKJ zur Anfechtung der Verträge nicht erwähnt, sondern totgeschwiegen wurde.

Statt dessen stellte der „Journalist“ Jan Thomsen in einem Artikel der Berliner Morgenpost die unverschämte Behauptung auf, dass der AKJ ohnehin nicht über die Kompetenz verfüge, den Vertrag anzufechten. Jan Thomsen hat weder mit Sabine Finkenthei noch mit Olay Sydow zu diesem Thema ein Gespräch geführt. Heute arbeitet Herr Thomsen übrigens nicht mehr für die Morgenpost, sondern ist Sprecher der Berliner Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz…

Warum ich mich noch einmal der Mühe unterzogen habe, an diese Vorgänge zu erinnern? Weil er exemplarisch für die Abschottungspraxis der etablierten Politik steht, und zwar vor allem immer dann, wenn es um Problemlösungsvorschläge geht, die eben nicht von den etablierten, neoliberalen Konzernen wie Freshfields u.a. kommen, sondern von anderen Organisationen! Ich behaupte nicht, dass ein Organstreitverfahren Erfolg gehabt hätte. Aber es gar nicht zu versuchen und Angebote zu ignorieren – damit haben sich unsere Volksvertreter nicht nur ein Armutszeugnis ausgestellt. Sie haben auch ihren Unwillen zu einer Kooperation auf gleicher Augenhöhe demonstriert und damit eine Ressource verspielt, die eigentlich unverzichtbar ist: Vertrauen.

Es ist in diesem Kontext schon wieder amüsant, wie viel Aufmerksamkeit die Medien dem Volksbegehren „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ entgegen bringen. Warum amüsant? Weil es in diesem Volksbegehren um nichts geht. Denn Unterschriften werden nicht für ein Gesetz gesammelt, sondern lediglich für eine an den Berliner Senat gerichtete Aufforderung, er, also der Senat, möge ein Gesetz schreiben, um größere private Wohnungsunternehmen zu enteignen. Was dabei wohl herauskommen mag? Wetten nehme ich gerne an.

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