Rekommunalisierung der Berliner Wasserbetriebe:
Teurer Rückkauf für 1,3 Mrd. € im Schnellverfahren oder gibt es kostengünstige Alternativen?
Offener Brief der Zivilgesellschaft an die Abgeordneten
Sehr geehrte Frau Abgeordnete, sehr geehrter Herr Abgeordneter,
über 630 Mio. € könnte der Senat bei dem Rückkauf der Anteile von RWE und Veolia an der BerlinWasser Holding AG sparen. Statt dem RWE-Konzern seinen Ausstieg aus dem Berliner Wassergeschäft mit 650 Mio. € zu vergolden, sollten jedem der privaten Anteilseigner höchstens 336,3 Mio. € als Abfindungsbonus gezahlt werden. Unabhängig von den in diesem Schreiben aufgezeigten Alternativen und den damit verbundenen haushaltspolitischen Entlastungseffekten lassen auch die Rahmenbedingungen des Rückkaufs zwischen dem Senat und den privaten Anteilseignern zahlreiche Fragen offen: Bereits die Zusammensetzung der „Transaktionskosten“ ist nicht nachvollziehbar. Warum hat beispielsweise RWE am 16.02.2011 ein Eigenkapitaldarlehen in Höhe von 469 Mio. € für die RVB Beteiligungs-GmbH aufgenommen, wo sich doch das Hauptgeschäftsfeld der RVB auf die Transferierung der von den Wasserbetrieben erwirtschafteten Gewinne über die Holding AG zu den privaten Anteilseignern konzentriert? Auch der Senatsbeschluss vom 17.07.2012 (Nr. S-417/2012) versetzt die Leserschaft in einen Zustand des Staunens, mit welcher Schnelligkeit die bisherige Höchstgrenze für den Beteiligungserwerb von Infrastrukturunternehmen von 100 Mio. € auf sage und schreibe 700 Mio. € angehoben wurde (Punkt 3 und 4). Es scheint, dass die Beteiligten innerhalb kürzester Zeit Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt haben, um hier ein Geschäft zum Abschluss zu bringen, dessen Geschäftsgrundlage – der Konsortialvertrag mit seinen Änderungsvereinbarungen – juristisch äußerst umstritten ist. Doch statt den Konsortialvertrag aus den Angeln zu heben und so die Voraussetzungen für eine Rückabwicklung der Teilprivatisierung zu schaffen, wird ein Rückkauf unter den Bedingungen des Konsortialvertrages vereinbart, bevor der parlamentarische Sonderausschuss die Prüfung der Teilprivatisierung abgeschlossen hat. Zwischen diesen beiden Verfahrensalternativen bestehen erhebliche Unterschiede auch in den fiskalpolitischen Konsequenzen, die wir Ihnen zunächst tabellarisch verdeutlichen wollen.
Rekommunalisierung liegt im Trend. Galt in den 90er Jahren die Privatisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge als Königsweg, so hat auch aufgrund der inflationstreibenden Preisentwicklung ein Umdenken stattgefunden und die Bürger fordern zu Recht, dass die Infrastruktur der öffentlichen Daseinsvorsorge wieder zurück in die öffentliche Hand geführt wird. Verbunden ist dieser Rekommunalisierungs-Trend mit der Hoffnung auf tarifliche Entlastungseffekte in Form von Preissenkungen. Inwieweit diese Hoffnungen zu verwirklichen sind, hängt maßgeblich davon ab, ob die politisch verantwortlichen Funktionsträger bereit sind, der Erwartungshaltung zu entsprechen, oder ob sie es bei formellen Lippenbekenntnissen belassen und an dem Prinzip der Gewinnmaximierung festhalten. Ob sich die erhofften Entlastungseffekte durch eine Rekommunalisierung herbeiführen lassen, hängt auch maßgeblich von den Kosten der Rekommunalisierung ab, denn diese werden in die zukünftigen Tarife eingepreist, oder anders formuliert: Auch eine Rekommunalisierung muss gegenfinanziert werden. Je höher die Rekommunalisierungskosten ausfallen, umso geringer sind die Aussichten, dass sich Spielräume für Preissenkungen zugunsten von Verbrauchern und Gewerbetreibenden eröffnen.
Für die Höhe der Rekommunalisierungskosten ist nicht zuletzt entscheidend, welches Verfahren die politisch Verantwortlichen favorisieren. Nach dem ersten erfolgreichen Volksentscheid in Berlin zur Offenlegung der Teilprivatisierungsverträge, die zwischen dem Land Berlin und den privaten Anteilseignern RWE und Veolia über den Verkauf der Berliner Wasserbetriebe 1999 abgeschlossen worden waren, standen mehrere Alternativen zur Auswahl:
- Die Initiatoren des Volksentscheids verknüpften mit der Offenlegung der Teilprivatisierungsverträge die Prüfung und gerichtliche Anfechtung der Verträge. Ein „Arbeitskreis unabhängiger Juristen“ hat aufgezeigt, wie Abgeordnete mit einem Organstreitverfahren die Voraussetzungen schaffen könnten, um gerichtlich die Nichtigkeit der Teilprivatisierungsverträge feststellen zu lassen.
- Die Verträge werden neu verhandelt. Diese Strategie verfolgte ursprünglich der Senat, wobei nicht zu erkennen war, mit welchen Druckmitteln der Senat die vertraglich vereinbarten Gewinnausfallgarantien zugunsten der privaten Anteilseigner beenden will.
- Der Rückkauf der Anteile ohne die Teilprivatisierungsverträge gerichtlich anzufechten wird jetzt von Seiten des Berliner Senats im Eilverfahren durchgepeitscht. Nicht nur, dass der parlamentarische Sonderausschuss seine Arbeit erst am Jahresende beendet und der Senat es offensichtlich nicht für notwendig erachtet, die Ergebnisse des Sonderausschusses abzuwarten. Auch den Bitten der organisierten Zivil- und Bürgergesellschaft, in dem Rückkaufvertrag Preisanpassungs- und Vorbehaltsklauseln zu berücksichtigen, für den Fall, dass es gelingt, die Teilprivatisierungsverträge gerichtlich anzufechten, ist nur mangelhaft entsprochen worden. Es erhärtet sich der Eindruck, dass Fakten im Eil-Verfahren durchgesetzt werden, die Berlin teuer zu stehen kommen.
Doch vergegenwärtigen wir uns zuvor noch einmal die Vorteile einer gerichtlichen Anfechtung der Teilprivatisierungsverträge: Im Fall einer gerichtlich festgestellten Nichtigkeit der Verträge müssten diese rückabgewickelt werden, mit der Folge, dass die Teilprivatisierung ohne Vertragsgrundlage auch ihre Geschäftsgrundlage verloren hätte. In diesem Fall müssten den privaten Anteilseignern ihre Einlagen in Höhe von knapp 1,7 Mrd. € abzüglich einer im Jahr 2008 bereits erfolgten Kapitalherabsetzung rückerstattet werden. Allerdings – und das ist der entscheidende Vorteil – wäre dieser Betrag mit der Höhe der erzielten Gewinne aufgrund des nichtigen Vertrages zu verrechnen. Um keine einseitige Vorteilsnahme zugunsten des Landes Berlins entstehen zu lassen, müssten auch die Gewinne des Landes Berlin in dieses Verrechnungsmodell einbezogen werden. Zu berücksichtigen ist des Weiteren, dass die Gewinne zugunsten der Privaten vor Steuern ausgewiesen sind. Bei der Rückvergütung müssten folglich von Seiten der Privaten auch die geleistete Steuerlast geltend gemacht werden. Da diese Kostenstelle aus den uns zugänglichen Quellen nicht ersichtlich ist, kann sie in diesem Berechnungsmodell nicht einfließen.
Folgende Parameter sind bekannt[1]:
- Eingebrachte Leistungen der privaten Anteilseigner (pA): 1,696 € (RWE: 848 Mio. €)
- Minderung der eingebrachten Leistungen durch die Kapitalherabsetzung der BWB (Jahr 2008 / Regenwasserurteil) in Höhe von 526 Mio. €
Von der Kapitalherabsetzung der Wasserbetriebe profitierten auch die privaten Anteilseigner, die ihr Investment um 263 Mio. € auf 1,433 Mrd. € verringern konnten.[2] - Gewinnausschüttungen vor Steuern an die pA zw. 1999 und 2011: 1,518 Mrd. €
- Gewinnausschüttungen an das Land Berlin zw. 1999 und 2011: 923 Mio. €
- Gewinnausschüttungen insgesamt: 2,441 Mrd. €
Die Verrechnung der erbrachten privaten Einlagen mit der gesamten Gewinnausschüttung abzüglich der Kapitalherabsetzung aus dem Jahr 2008 würde somit zu einem positiven Ertragsergebnis in Höhe von 1,008 Mrd. € für die BerlinWasser Holding AG führen.
Dieses Ertragsergebnis wäre im Rahmen einer angemessenen Entschädigungsregelung zwischen den Vertragsparteien entsprechend den gesellschaftsrechtlich vereinbarten Besitzverhältnissen an der BerlinWasser Holding AG aufzuschlüsseln. Auf das Land Berlin mit seinen 50,1 % Anteilen würden demnach 505 Mio. € entfallen, während den Minderheitseignern RWE und Veolia gemeinsam 503 Mio. € zugebilligt werden müsste. Wie bereits oben erwähnt, wären die erbrachten Steuerleistungen der Privaten noch zu berücksichtigen. Nach diesem Modell könnte somit jedem privaten Anteilseigner ein Ausgleichsbetrag in Höhe von je 251,5 Mio. € für die Beendigung der Teilprivatisierung zugestanden werden.
Kritiker dieses Modells mögen bemängeln, dass den Investoren auch eine angemessene Kapitalmarktverzinsung auf ihre Einlagen hätte zu Gute kommen müssen. Diesem Einwand ist zum einen die Bösgläubigkeit entgegen zu halten, mit der die Auflagen der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs zur Renditeberechnung des Teilprivatisierungsgesetzes durch die Verträge unterlaufen worden sind, und zum anderen ist herauszustellen, dass der ermittelte Ausgleichsbetrag in Höhe von 251,5 bzw. 503 Mio. € einer zusätzlichen faktischen Dividendenausschüttung in Höhe von 35 % der damals eingebrachten Einlagen (abzüglich der Kapitalherabsetzung) gleichkommt, oder anders formuliert: Für den Rückzug aus dem Berliner Wassergeschäft erhalten die privaten Anteilseigner ergänzend zu ihren 1999 mit den Gewinnen verrechneten Einlagen eine zusätzliche Abfindung in der Mindesthöhe von je 251,5 Mio. €.
Dem gleichen Berechnungsmodell folgend ergibt sich ein anderes Resultat, wenn das laufende Schiedsverfahren einbezogen wird. Den Angaben einer Antwort auf eine kleine Anfrage des SPD-Abgeordneten Daniel Buchholz zufolge geht es hierbei um einen Streitwert in Höhe von 340 Mio. €, wobei es für den hier angenommenen Fall der Nichtigkeit der Verträge keine Relevanz hat, welche Vertragspartei in dem Schiedsverfahren gewinnt, da dieser Betrag der Gesamtsumme der nichtigen Gewinne hinzuzurechnen ist. Dadurch erhöht sich die ursprüngliche Summe in Höhe von 2,441 Mrd. € um 340 Mio. € auf insgesamt 2,781 Mrd. €.
Von diesem Betrag sind die Einlagen der privaten Anteilseigner abzüglich der Kapitalherabsetzung abzuziehen, so dass wir durch die großzügige Einbeziehung der Schiedsvereinbarung jetzt zu einem entsprechend höheren Ertragsabschluss von 1,348 Mrd. € kommen. Bezug nehmend auf die Besitzverhältnisse der BerlinWasser Holding AG würden auf das Land Berlin als Mehrheitseigner 675,3 Mio. € entfallen und auf beide privaten Anteilseigner gemeinsam 672,6 bzw. auf jeden 336,3 Mio. €.
Auch dieser Zuschlag in Höhe von 336,3 Mio. € für jeden der beiden privaten Anteilseigner erscheint im Vergleich zu der anderen Berechnung (251,5 Mio. €) als Kompromisslösung noch vertretbar. Allerdings wäre mit diesem konservativen Berechnungsmodell zugleich der Toleranzbereich für die haushaltspolitischen Handlungsspielräume vollends erschöpft. Eine Rekommunalisierung erscheint nur vertretbar, wenn sie fiskalpolitisch verantwortbar erscheint. Ein Rückkaufvertrag hingegen, in dem einem der privaten Investoren ein Preis in Höhe von 650 Mio. € präsentiert wird, entspricht faktisch – bezogen auf die damals geleisteten Einlagen in Höhe von 716 Mio. € jedes Anteilseigners – einem Abfindungs-„Wucherzins“ in Höhe von 90 %.
Allerdings werden sich diese Rahmenbedingungen für eine kostengünstige Rekommunalisierung erst realisieren lassen, wenn die gesamte Tragweite bzw. die elementaren Unterschiede zwischen der Aushandlung eines Rückkaufvertrages unter den Bedingungen der Teilprivatisierungsverträge oder einer Rekommunalisierung ohne Berücksichtigung der Vereinbarungen, die in den Teilprivatisierungsverträgen getroffen worden sind, erkannt und nicht länger totgeschwiegen werden. Daher der Hinweis: Wenn zu den Bedingungen des Vertrages der Rückkauf zwischen den Vertragsparteien im Konsens und einvernehmlich verhandelt wird, müssen auch die Kostenstellen des Vertrages bei der Ermittlung der Rückkaufsumme berücksichtigt werden. Gänzlich andere und wesentlich günstigere Bedingungen ergeben sich, wenn die vertraglichen Bedingungen gerichtlich für nichtig erklärt worden sind und folglich keine Berücksichtigung finden müssen. Verfolgt man das Ziel einer kostengünstigen Rekommunalisierung, führt an einer gerichtlichen Vertragsanfechtung kein Weg vorbei. Daher verweisen wir nochmals auf das Angebot des Arbeitskreises unabhängiger Juristen, alle Schritte zur Durchführung einer Organklage kostenfrei durchzuführen. Die klagebereiten Abgeordneten tragen kein Prozesskostenrisiko und der Haushalt kann im Vergleich zu den Konditionen des Rückkaufvertrages nur gewinnen.
Festzuhalten ist: Die Unterschiede für die Kosten zwischen den verschiedenen Möglichkeiten der Rekommunalisierung in Höhe von 800 Mio. € bis 630 Mio. € (unter Berücksichtigung einer angemessenen Abfindung für Veolia) sind gewaltig. Spätestens diese Größenordnung sollte Anlass genug sein, dass alle Abgeordneten, die sich ihrer haushaltspolitischen Verantwortung stellen, die Bedeutung der Anfechtung der Teilprivatisierungsverträge erkennen und das Angebot des Arbeitskreises unabhängiger Juristen aufgreifen. Rechtsanwalt Sydow und die Juristin und Gutachterin Sabine Finkenthei, die den Volksentscheid von Anfang an begleitet hat, haben bereits die Sommerpause vorsorglich genutzt, die Klageschrift für das Organstreitverfahren zu erarbeiten, und sind jederzeit bereit, sich mit Abgeordneten zusammenzusetzen, um das weitere Vorgehen zu besprechen.
Bevor der Rückkaufvertrag parlamentarisch durchgeschleust wird, wenden wir uns an alle Abgeordneten, um die hier dargestellten wie weitere Optionen einer kostengünstigen, bürgernahen Rekommunalisierung zu erörtern, wobei unsere Bemühungen auch von der Zielsetzung geprägt sind, Berlin als Wirtschaftsstandort für Gewerbetreibende durch günstige Wassertarife attraktiv zu gestalten. Erst eine kostengünstige Rekommunalisierung schafft die Voraussetzungen, die einerseits Investitionen in eine ökologisch nachhaltige Wasserversorgung zukünftig sichern, die andererseits deutliche Spielräume für Tarifsenkungen für Endverbraucher und Gewerbetreibende eröffnen und abschließend für die Beschäftigten der Wasserbetriebe zukunftssichere Arbeitsplätze auf einem hohen Qualitätsniveau garantieren.
Wir wären Ihnen sehr verbunden, wenn Sie uns einen Gesprächstermin ermöglichen oder unsere schriftliche Darlegung in der Beratung über die Rückkaufoptionen berücksichtigen.
[1] s. Bericht SenWtf vom 4.05.12 zu den Fragekatalogen der Fraktionen
[2] Pressemitteilung der Berliner Wasserbetriebe zum Regenwasser-Urteil http://www.bwb.de/content/language1/html/4093_4082.php / s.a.