Mieten-Enteignungs-Volksbegehren als Nebelkerze
mit toxischen Nebenwirkungen für Mieter
(2. Update)
Berlin 14.06.2019. Rechtzeitig zur Sommerpause haben die Unterstützer des Volksbegehrens „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ in wenigen Monaten 77.000 Unterschriften gesammelt – für die erste Stufe, für den Antrag auf Zulassung des Volksbegehrens, wären lediglich 20.000 gültige Stimmen erforderlich gewesen. Die hohe Zahl beweist, dass das Thema explodierender Mieten vielen Menschen in Berlin am Herzen liegt und es nicht schwer gefallen ist, Menschen zur Unterschrift zu bewegen. Doch wofür genau wurde von den Initiatoren inhaltlich geworben? Und wie geht es nun weiter?
Der wichtigste Vorteil von einem Volksbegehren mit einem anschließendem Volksentscheid besteht darin, dass die Bevölkerung selbst über ein Volksgesetz abstimmen kann. Im Klartext bedeutet das: Die Bevölkerung übt die Definitionsmacht über gesetzliche Rechtsnormen aus, die für Alle gelten1. Der größte Vorteil bei der Volksgesetzgebung: Der Zwang zum Kompromiss in der Formulierung der Rechtsnormen steht nicht im Vordergrund! Außenstehende Interessen müssen nicht berücksichtigt werden. Zu berücksichtigen ist lediglich, dass die Rechtsnormen nicht die verfassungsrechtlich garantierten Grundrechte verletzen. Doch diese Frage klärt notfalls das zuständige Verfassungsgericht und weder das Abgeordnetenhaus noch die Regierung noch Gutachter und schon gar nicht die Presse!
Im Fall des Enteignungs-Volksbegehrens sollte jedoch spätestens jetzt auffallen, dass dem Volksbegehren zur Enteignung die wichtigste Grundlage fehlt: Es existiert kein Volksgesetz! Die Unterstützer des Volksbegehrens haben lediglich für einen „Beschluss“ Unterschriften gesammelt, der vorsieht:
´“Zur Sicherstellung des in Art. 28 der Verfassung des Landes Berlin garantierten Rechts auf angemessenen Wohnraum wird der Senat von Berlin daher aufgefordert zur Erarbeitung eines Gesetzes zur Überführung von Immobilien sowie Grund und Boden in Gemeineigentum zum Zwecke der Vergesellschaftung nach Art. 15 Grundgesetz.“2
Im Klartext: Die Initiatoren haben trotz einer langen Vorbereitungszeit von mehr als 2 Jahren keine Anstrengungen unternommen, ein Volksgesetz zu formulieren!3 Statt die Definitionsmacht über gesetzlich verbindliche Rechtsnormen selbst auszuüben, wird diese an die Regierung bzw. den Senat delegiert. Hier stellt sich die Frage, ob irgendein Grund vorhanden ist, der die Annahme rechtfertigt, dass der Senat diesen Beschluss zugunsten der Mieter ausführen wird?
Die Politik hat auf Bundesebene ihr vollständiges Versagen bereits offenbart: Ob es die desaströse Mietpreisbremse ist oder die Umlagefinanzierung der energetischen Gebäudesanierung zu Lasten der Mieter. Andere Beispiele ließen sich weiter anführen. Keinen Deut besser reagiert die Berliner Regierung! Im Gegenteil: Durch die Diskussion um die Einführung eines Mietendeckels müssen die Mieter jetzt die toxischen Nebenwirkungen des Volksbegehrens befürchten, dass die Vermieter noch einmal die Kaltmiete um 15% erhöhen, bevor der Mietendeckel beschlossen ist. Dabei ist es juristisch fraglich, ob dieser Mietendeckel die zu erwartende Klagewelle der Vermieterorganisationen (Haus & Grund, BBU etc.) überstehen wird! Ein ähnliches Schicksal wird auch einem Enteignungsgesetz bevorstehen. Der Regierende Bürgermeister, Michael Müller (SPD), hat seine ablehnende Haltung gegenüber der Enteignung klar zum Ausdruck gebracht. Bei Meinungsunterschieden zwischen den Regierungsfraktionen ist zu erwarten, dass die SPD die Erarbeitung einer Gesetzesvorlage an ihre Hauskanzlei (Feshfields) delegieren wird. Im Rahmen der Beratungen im Abgeordnetenhauses werden dann so viele Kompromisse und Nach“besserungen“ eingearbeitet, die nach der Beschlussfassung und Verabschiedung sowohl von den Vermieterorganisationen und den Konzernen gerichtlich angefochten werden – und zwar über den gesamten Instanzenzug. Und selbst für den unwahrscheinlichen Fall, dass ein vom Abgeordnetenhaus beschlossenes Enteignungsgesetz gerichtlich Bestand haben sollte, würde es anschließend ans Eingemachte gehen und das gerichtlich zugelassene Enteignungsgesetz müsste auch zur Anwendung gelangen. Doch wenn der Senat die Wohnungsbestände der Konzerne „vergesellschaftet“, dann würde auch die Streitfrage nach der Angemessenheit eines Kaufpreises gerichtlich ausgefochten werden. Und nur zur Erinnerung: Auch in diesem Zusammenhang wird von offizieller Seite gerne auf die Rekommunalisierung der Berliner Wasserbetriebe (nach dem ersten erfolgreichen Volksentscheid in Berlin mit einem Volksgesetz!) verwiesen. Unterschlagen wird dabei regelmäßig, dass keine Anstrengungen unternommen worden sind, die Voraussetzungen für eine kostengünstige Rekommunalisierung zu schaffen! Im Gegenteil: Es wurde investorenfreundlich und damit viel zu teuer rekommunalisiert.4
In der Zwischenzeit steigen die Mieten auch weiter, die Häuser werden weiter energetisch saniert und modernisiert, kleine Investmentgruppen vertreiben wie im Kreuzberger Waldekiez und im Prenzlauer Berg auch jene Menschen, die mit den renditegetriebenen Erwartungen der Vermieter nicht Schritt halten können.
Über wirklich substanzielle und nachhaltige, alternative juristisch gangbare Gestaltungsoptionen wird nicht berichtet werden: Beispielsweise über eine Alternative zum wichtigsten Kostentreiber bei den Mieten, der energetischen Gebäudesanierung. Bisher erfolgt diese durch eine Umlagefinanzierung. Das Wohnungsunternehmen konnte bisher 11% und zukünftig 8% seiner Kosten auf die Miete umlegen, dauerhaft! Wenn das Wohnungsunternehmen seine Kosten wieder über die Umlage „erwirtschaftet“ hat, dann bleibt die Miete auch weiterhin so hoch. Zusätzlich – und auch das wird in der Berichterstattung nicht betont – hat der Gesetzgeber dem Investor die Möglichkeit eröffnet, 50% seiner Modernisierungskosten steuerlich abzusetzen. Die Interessengemeinschaft „Faire Mieten für ALLE“ fordert schon seit 2 Jahren, die Umlagefinanzierung zu Lasten der Mieter abzuschaffen und vollständig durch ein steuerliches Abschreibemodell zu ersetzen.
Gewiss betonen viele Gegner des Volksbegehrens zurecht, dass durch eine Vergesellschaftung a) dringend benötigte Geldmittel nicht für andere wichtige Aufgaben zur Verfügung stehen und b) dadurch vor allem kein neuer Wohnraum geschaffen wird. Was Gegner wie Frau Kern vom BBU beflissentlich ausblenden, sind die Kernfragen, wie a) kostengünstiger Wohnraum für Personen, die sich im Niedriglohn verdingen müssen, entstehen kann und b) wie Vorkehrungen getroffen werden können, damit auch im inneren S-Bahn-Bereich eine sozial durchmischte Stadt entwickelt und weiter ausgebaut werden kann. Auch hier fordert die Interessengemeinschaft „Faire Mieten für ALLE“ die Anwendung des Art. 14. Abs. 2 unseres 70-jährigen Grundgesetzes: Eigentum verpflichtet. Wenn jeder Bauherr, der mehr als 90 Wohnungen baut, von Gesetzgeber verpflichtet wird, 30% der Bruttogeschossfläche an von Armut betroffene Menschen zu vermieten, und zwar zu einem Quadratmeterpreis, der den Kosten der Unterkunft für SGB II Betroffene (Hartz IV und Grundsicherung) entspricht, dann müsste der Bauherr seine Kalkulationsgrundlage differenzieren und die Kosten für die frei nutzbaren 70% seiner Bruttogeschossfläche höher ansetzen.
Eine weitere Baustelle ist das Verfahren zur Erstellung eines verbindlichen Mietspiegels. Auch hier ist es unverständlich, warum der Gesetzgeber keinen Vorstoß unternimmt, die Rahmenbedingungen gesetzlich zu bestimmen und die Berechnungsgrundlage zu verändern. Bisher werden lediglich die Miethöhen, die in den letzten 4 Jahren abgeschlossen worden sind, bei der Berechnung berücksichtigt. Wenn auch ältere Bestandsmieten beispielsweise der letzten 20 Jahre in das Berechnungsverfahren einbezogen würden, dann hätte das einen spürbaren Entlastungseffekt zur Folge, die wirklich den Namen „Mietpreisbremse“ verdient!
Und was das jetzige Verfahren zur Mietpreis“bremse“ betrifft, das die Mieter in die Rolle des Bittstellers zwingt, die bei ihren Vermietern die Mietehöhe ihrer Vormieter erfragen müssen, da stellt sich die Frage, warum der Gesetzgeber nicht in der Lage war, eine einfach Vorschrift zu erlassen, die im Mietvertrag ein Formularfeld vorsieht, in der jeder Vermieter die Miethöhe des Vormieters eintragen muss.
Belegen diese Beispiele weniger das Unvermögen der Politik eine mieterfreundliche Politik zu betreiben, als diese mit Vorsatz und unter Einsatz aller Mittel, auch der direktdemokratischen, zu vereiteln, zu verhindern und zu bekämpfen?
Diese Annahme ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Und wer die Verbindungen zwischen Rouzbeh Taheri, dem Sprecher des Volksbegehrens, und Klaus Lederer, dem Fraktionsvorsitzemden der Berliner Partei Die LINKE, kennt, der ahnt, dass es hier nicht um nachhaltige Problemlösungen zugunsten der Mieter geht, sondern um das Gewinnen von Aufmerksamkeit und Wählerstimmen. Und da passt der Slogan der Enteignung des Feindbilds, großer privater Wohnungskonzerne, programmatisch ins Konzept. Dabei ist dem Juristen Klaus Lederer natürlich klar, dass im Fall der Mietpreisentwicklungen der Schwarze Peter weder den Konzernen noch den Vermietern anzulasten ist, sondern der Politik. Denn die Politik setzt die gesetzlichen Rahmenbedingungen und hätte es somit in der Hand, sowohl mieterfreundliche Gesetze zu beschließen wie der Spekulation mit Bauland in Ballungsgebieten den Riegel vorzuschieben.
Abschließend ein weiteres Indiz, das die These der Aufmerksamkeitsgewinnung bekräftigt: In dem oben zitierten Beschluss des Volksbegehrens „wird der Senat aufgefordert zur Erarbeitung eines Gesetzes“. Nach dem Gesetz über Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid (AbstG) ist das Berliner Abgeordnetenhaus aufgefordert, zu entscheiden, ob es das Anliegen des Volksbegehrens inhaltlich im wesentlichen übernimmt. Daher stellt sich auch vor dem Hintergrund der in Fußnote 1 angedeuteten Problematik die Frage, warum die Initiatoren nicht gleich das Abgeordnetenhaus – auch als den „obersten Souverän“ der repräsentativen Demokratie – aufgefordert haben, ein Gesetz zu erarbeiten? Die Antwort ist einfach: Der Senat kann seine geheime Hinterzimmerpolitik fortsetzen und dabei vor allem für eines „sorgen“: Dass die private Wohnungswirtschaft auch weiterhin ihren Schnitt macht. Denn eines haben wir aus der Rekommunalisierung der Berliner Wasserbetriebe gelernt:
Auch ein rot-roter Senat hat nichts unternommen, um sich für eine kostengünstige Rekommunalisierung der Wasserbetriebe einzusetzen. Im Gegenteil: Der Forderung nach dem ersten erfolgreichen Volksentscheid in Berlin, die offengelegten Teilprivatisierungsverträge dem Berliner Verfassungsgericht zur Prüfung vorzulegen, haben sich Senat und das Abgeordnetenhaus vehement widersetzt. Und so wundert es nicht, dass die Wasserbetriebe nicht kostengünstig sondern „investorenfreundlich“ rekommunalisiert worden. Da ist es schon ein schlechter Witz, wenn der Fraktionsvorsitzende der LINKEn auf einer Veranstaltung tönt, er mache sich um die Finanzierung keine Sorgen und in diesem Kontext auch noch auf die Wasserbetriebe verweist (O-Ton Udo Wolf 2:44 Min)!
Warum sollte der Senat nicht ähnliche Rahmenbedingungen auch beim Mietendeckel vereinbart haben? Übrigens hat der Geschäftsführer der Deutschen Wohnen auf einer Veranstaltung der Berliner Morgenpost durchblicken lassen, dass auch auf Bundesebene ähnliche Vereinbarungen geschlossen worden sind, die einen Enteignungsversuch zum Scheitern verurteilen (O-Ton Zahn 2:04 Min.).
Thomas Rudek
Gründer und Sprecher der Interessengemeinschaft „Faire Mieten für ALLE“
Kontaktdaten
Festnetz: 030 / 2613389
mobil: 01522 / 3627260
E-Mail: ThRudek@gmx.de
1Normalerweise werden Gesetze von den Ministerien bzw. Senatsverwaltungen erarbeitet und dann als Entwurf in das Parlament zur Beratung und Abstimmung gebracht. Bereits während der Erarbeitung der Entwürfe in den Ministerien wird in der Regel genau die Richtung des Gesetzes mit Lobbyverbänden und Beratungsagenturen abgestimmt. Wenn dann der Gesetzentwurf dem Parlament vorgelegt und in den Ausschüssen besprochen wird, erfolgt lediglich der Feinschliff. Die Richtung bzw. Stoßrichtung wird in der Regel nicht verändert. Wenn der Gesetzgeber Themen von hoher gesellschaftlicher Brisanz regelt, dann kommt es im Fall von Auseinandersetzungen zwischen den Regierungsfraktionen vor, dass sich die Abgeordneten auf Kompromisse in Form von unbestimmten Rechtsbegriffen verständigen. Diese Strategie der Problemverlagerung beschäftigt dann die Gerichte und Juristen, die sich dann mit der Rechtsanwendung und vor allem Rechtsauslegung beschäftigen.
2https://www.dwenteignen.de/2018/10/25/volksentscheid-vorläufiger-beschlusstext/ in der Fassung vom 14.6.2019.
3Der Verfasser war bei den ersten Vernetzungstreffen anwesend und hat miterleben können, wie von Anfang an von einem Personenkreis in dominant-autoritärem Stil die Aufmerksamkeit auf ein „Beschluss-Volksbegehren“ gelenkt wurde. Andere und vor allem weitergehende Vorschläge wurden weder protokolliert noch als Tagesordnungspunkte aufgenommen.
4Diesbezügliche Vorschläge des Arbeitskreises unabhängiger Juristen (AKJ) zur Anfechtung der geheimen Teilprivatisierungsverträge wurden von den Abgeordneten aller Fraktionen ignoriert. Wären die in den Geheimverträgen vereinbarten Gewinngarantien gerichtlich angefochten worden, dann hätten die illegalen Gewinne, die die Konzerne RWE und Veolia erhalten haben, mit der Rückkaufsumme bei der Rekommunalisierung gegengerechnet werden können und der Rückkaufbeitrag wäre günstiger ausgefallen.