28. August: Zweiter Brief an die Berliner Abgeordneten – Finanzsenat will ergebnisoffene Diskussion um kostengünstige Rückabwicklung verhindern

Am 17.8. haben der Verband Deutscher Grundstücksnutzer, der Bund der Steuerzahler (Berlin), der bekannte Schriftsteller Ingo Schulze, der Arbeitskreis Unabhängiger Juristen gemeinsam mit den Berliner Wasserbürgern einen offenen Brief an die Berliner Abgeordneten verfasst, in dem durch zwei alternative Berechnungsmodelle verdeutlicht werden konnte, dass eine Rückabwicklung der Teilprivatisierungsverträge über eine gerichtliche Anfechtung kostengünstiger ausfällt als der Rückkaufvertrag, den der Finanzsenator jetzt durch das Abgeordnetenhaus im Eilverfahren durchpeitschen will. Es geht um eine Kostenersparnis in Höhe eines dreistelligen Millionenbetrages. Statt diese Alternativen aufzugreifen, reagiert der Finanzsenat mit einer Stellungnahme, die er nur an das Abgeordnetenhaus richtet, nicht jedoch an die Verfasser des offenen Briefs. Wir haben auf die Vorwürfe der Senatstellungsnahme reagiert und zeigen auf, dass sich noch eine weitere Verfahrensvariante anbietet!

UNGLAUBLICH! Berliner Finanzsenat fordert von Abgeordneten,
kostengünstige Vorschläge der Zivilgesellschaft zur Rückabwicklung der Berliner Wasserverträge zu ignorieren

Zweiter Offener Brief der Zivilgesellschaft[1] an die Berliner Abgeordneten

Berlin, d. 28.8.2012

Sehr geehrte Frau Abgeordnete, sehr geehrter Herr Abgeordneter,

dankenswerter Weise erfuhren wir aus der Mitte des Abgeordnetenhauses, dass auf unsere Vorschläge vom 17.8.2012 zur Kosteneinsparung durch die Rückabwicklung der Teilprivatisierungsverträge die Finanzverwaltung ihrerseits mit einer Stellungnahme reagiert hat. Dort wird uns unter anderem vorgeworfen, dass

a) wir das Gutachten des wissenschaftlichen Parlamentsdienstes (WPD) vom 31.05.2012 „ignoriert“ hätten,

b) wir durch die Einbeziehung des Streitwerts des Schiedsverfahrens, genauer die Aufschlüsselung dieses Betrags gemäß den Anteilsverhältnissen auf alle drei Anteilseigner,  einen „fundamentalen handwerklichen Fehler“ begangen hätten und

c) wir „wirklichkeitsfremd“ sind, wenn wir darum bitten, dass der im Hau-Ruck-Verfahren aufgesetzte Kaufvertrag mit RWE lediglich um eine Preisanpassungs- und Vorbehaltsklauseln für den Fall der Nichtigkeit der ursprünglichen Wasserverträge ergänzt werden soll.

Die Verfasserin / der Verfasser der Senatsstellungnahme schlägt vor, „von einer Detailauseinandersetzung mit der behaupteten Höhe der Rückabwicklungskosten abzusehen. Denn es geht hier ersichtlich nicht um Fakten, sondern um Gewünschtes und Gewolltes.“

Beginnen wir mit dem letzten Punkt (c): Wenn die Verfasserin / der Verfasser des Senatsschreibens wie die privaten Anteilseigner den Anschein erwecken, dass die Teilprivatisierungsverträge juristisch nicht anfechtbar sind bzw. einer gerichtlichen Überprüfung standhalten, dann sollte doch auch ohne Aufhebens unserer Bitte, im Vertrag eine entsprechende Preisanpassungsklausel für den Fall einer gerichtlichen Nichtigkeitsfeststellung der Teilprivatisierungsverträge zu berücksichtigen, entsprochen werden können, zumal solche Klauseln zur Normalität juristischer Praxis gehören. Und schließlich erwecken doch die Vertragsparteien den Eindruck, dass die Verträge absolut rechtssicher seien und sie infolgedessen auch nichts befürchten müssen.

Festzuhalten ist, dass das Land Berlin allen Anlass hat, angesichts der desolaten Haushaltslage mit allen Mitteln darauf zu dringen, einen möglichst geringen Kaufpreis zahlen zu müssen. Verzichtet der Senat auf eine solche Klausel, dann ist zu befürchten, dass die Nutzung dieser selbstverständlichen Option einer Kaufpreisanpassung nach unten kaum noch möglich sein wird!

Wenn der Senat abschließend mitteilt: „Der Vertrag ist nicht nichtig“, dann ist diese Mitteilung nicht nur als „Gewünschtes und Gewolltes“ zu klassifizieren, sondern diese Äußerung ist juristisch auch als äußerst bedenklich zu bewerten. Wer sich aus politisch verantwortlicher Position zu solchen Äußerungen hinreißen lässt, dem ist in aller Deutlichkeit und Entschiedenheit in Erinnerung zu rufen, dass weder der Senat noch die privaten Teilhaber über die Nichtigkeit zu befinden haben, sondern eine derartige Feststellung fällt in einem demokratischen Rechtsstaat immer noch in die Zuständigkeit der Gerichte und nicht in die der Exekutive und ihrer privaten Teilhaber.

Hier möchten wir an Punkt a) anknüpfen: Die Verfasserin / der Verfasser der Senatsstellungnahme verweist mehrmals auf das Gutachten des Wissenschaftlichen Parlamentarischen Dienstes (WPD). Der WPD hat seine Rechtsmeinung geäußert, die wir als Unterzeichner des offenen Briefes genauso zur Kenntnis genommen haben wie die Rechtsmeinung des Arbeitskreises unabhängiger Juristen (AKJ). Wenn zu Streitfragen unterschiedliche Auffassungen bestehen, dann entspricht es normalerweise den üblichen Gepflogenheiten, dass die Verfahrensbeteiligten diese offenen Rechtsfragen einer abschließenden gerichtlichen Prüfung zuführen. Bei der Lektüre der Senatsstellungnahme entsteht der Eindruck, dass die Verfasserin / der Verfasser das WPD-Gutachten zu einem höchstrichterlichen Urteil hochstilisieren möchte. Auch hier lassen die Verfasserin / der Verfasser  eine Perspektive erkennen, die nicht nur wirklichkeitsfremd erscheint, sondern auch juristisch bedenklich. Zumal die wichtigsten „Argumente“ des WPD-Gutachtens auf der vorletzten Sitzung des Wasser-Sonderausschusses durch Rechtsanwalt Sydow widerlegt und entkräftet werden konnten. Und auch auf der letzten Sonderausschusssitzung konnte sich jeder durch die Ausführungen von Prof. Musil überzeugen, dass die Einschätzungen zum erfolgreichen Ausgang eines Organstreitverfahrens keinesfalls als wenig erfolgversprechend eingeschätzt werden. Ganz im Gegenteil! Übrigens hätte der AKJ nichts gegen eine ergebnisoffene Diskussion mit dem WPD einzuwenden.

Doch jetzt zu Punkt b), zu der Einbeziehung des Schiedsverfahrens und der Aufschlüsselung der 340 Mio. € gemäß den Anteilsverhältnissen auf alle drei Anteilseigner. Die Verfasserin / der Verfasser der Senatsstellungnahme unterschlägt die Information, dass im Fall einer Rückabwicklung das Investment der privaten Anteilseigner mit dem Gesamtgewinn zu verrechnen ist. Da das Schiedsverfahren die Ertragslage der Privaten verbessert hätte, ist dieser Gewinn dem Gesamtgewinn hinzuzurechnen. Weiterhin wird verkannt, dass die Einbeziehung der Schiedsvereinbarung aus reiner Kulanz erfolgt ist, denn es hätte auch eine andere Überlegung angestellt werden können: Wenn die Nichtigkeit der Verträge gerichtlich festgestellt werden sollte, dann wären auch die in diesen nichtigen Verträgen vorgesehene Schiedsvereinbarung nichtig und müssten nicht in der Gesamtberechnung der Gewinne einfließen (so erfolgt in unserer ersten Alternative zum überteuerten Rückkauf-Deal).  Durch die Einbeziehung der Schiedsverein­barung  gewinnen die Privaten immerhin 170 Mio. €, während in unserer ersten kostengünstigsten Variante die Schiedsvereinbarung keine Berücksichtigung findet. Wir haben uns nach reiflicher Überlegung für die Einbeziehung dieser Variante entschieden, auch um unsere Kompromissfähigkeit unter Beweis zu stellen.

Auch haben wir davon abgesehen, ein Berechnungsmodell vorzulegen, indem der nach der Verrechnung mit dem privaten Investment verbleibende Rest des Gesamtgewinns nicht gemäß den Anteilsverhältnissen zwischen den Anteilseignern aufzuschlüsseln wäre, sondern an die Berlinerinnen und Berliner zurückzuführen bzw. auszuschütten wäre. Wir haben auf diesen populistischen Ansatz verzichtet, weil wir nach seriösen (Aus)Wegen gesucht haben, die geeignet, rechtssicher, transparent und nachvollziehbar erscheinen, um den Haushalt zu entlasten und nicht zu belasten!

Umso ärgerlicher ist die arrogant-überhebliche Empfehlung der Verfasserin / des Verfassers der Senatsstellungnahme, „von einer Detailauseinandersetzung mit der behaupteten Höhe der Rückabwicklungskosten abzusehen“. Statt aus der Perspektive der Verbraucher, Gewerbetreibenden und Arbeitnehmerinnern nach Problemlösungen zu suchen, werden von der Verfasserin / dem Verfasser Schreckensszenarien an die Wand gemalt, in dem „Rückgewähr- und Ersatzleistungen in Millionenhöhe und mit entsprechenden Rechtsberatungskosten“ von Seiten der Privaten prophezeit werden, deren juristische Durchsetzbarkeit im Fall einer gerichtlichen Nichtigkeitsfeststellung höchst zweifelhaft erscheint.

Doch gerade diese Überheblichkeit der Senatsverwaltung legt eine weitere Option nahe: Warum sollte nicht die Bevölkerung im Rahmen eines Referendums darüber abstimmen dürfen, welchen Betrag der 3 vorgegebenen Varianten die Berliner Bevölkerung für angemessen hält, um das teure Kapitel der Teilprivatisierung ein für allemal und unwiderruflich zum Abschluss zu bringen und endlich zu normalen Zuständen zurückzukehren. Ein solches Referendum könnte von Seiten des Abgeordnetenhauses innerhalb eines kurzen Zeitraums durchgeführt werden und wäre auch ein geeigneter Schutzschirm gegen die Gefahr weiterer spitzfindiger juristischer Auseinandersetzungen. Beteiligen wir doch an so gravierenden Entscheidungen auch die Bevölkerung und setzen ein Zeichen gelebter Demokratie und wirklicher Partizipation.

gez. Alexander Kraus (Bund der Steuerzahler, Berlin)
gez. Ingo Schulze (Schriftsteller, Direktor der Sektion Literatur der Akademie der Künste)
gez. Sabine Finkenthei (Koordinatorin des Arbeitskreises unabhängiger Juristen)
gez. Thomas Rudek (Verfasser des Volksgesetzes zur Offenlegung der Berliner Wasser-Verträge)

 


[1] Alle genannten Organisationen und Personen haben den Wasser-Volksentscheid unterstützt.

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