Kommentar zur Gründung des Sonderausschusses im Abgeordnetenhaus Berlin: Mehr Bürgernähe zwingend erforderlich – Orientierung an „Stuttgart 21“ empfohlen

Kommentar zur Gründung des Sonderausschusses:
Mehr Bürgernähe zwingend erforderlich!
Sonderausschuss sollte sich in Fragen der Durchführung und Organisation an den Schlichtungsgesprächen zu „Stuttgart 21“ orientieren

Berlin, 9.1.2012. Zum ersten Mal in der Geschichte der repräsentativen Demokratie wurde ein Sonderausschuss infolge eines Volksgesetzes ins Leben gerufen. Während das Procedere von Untersuchungsausschüssen in den Geschäftsordnungen der Parlamente stark reguliert ist, haben Sonderausschüsse andere Handlungsspielräume, die offensiv für eine breit angelegte Partizipation der Zivilgesellschaft genutzt werden könnten. Allerdings fiel der Auftakt am 6. Januar verhalten aus. Wie die Berichterstattung über die Schlichtung des Konfliktes um „Stuttgart 21“ zeigte, ist für die Herstellung von Öffentlichkeit eine breit angelegte und inhaltliche Berichterstattung des Fernsehens unverzichtbar. Doch hier wurde gleich am Anfang festgelegt, dass die vertretenen regionalen TV-Sender des rbb und von tv-Berlin die Fernsehaufnahmen auf die Eröffnung beschränken sollten. Einzel-Interviews könnten nach Sitzungsende durchgeführt werden. Das entspräche dem „üblichen Verfahren“.

Zu beanstanden ist auch die mangelhafte informative Einbeziehung der anwesenden Besucher. Diese könnte in Zeiten der Informationsgesellschaft mit Hilfe von multimedialen Präsentationssystemen besser gestaltet werden. Anträge, Briefe und schriftliche Stellungnahmen – zitiert wurde ein Brief des Ausschussmitgliedes Dr. Klaus Lederer (Die LINKE) mit Empfehlungen für das weitere Vorgehen – lagen nur den Ausschussmitgliedern vor. Durch die Herstellung von Informationsmappen für Besucher wie Pressevertreter sowie durch den Einsatz entsprechender Präsentationssysteme sollte hier zukünftig ein Rahmen geschaffen werden, der dem partizipativen Anspruch einer demokratischen, bürgernahen Informationsgesellschaft gerecht wird. Auch ist es nicht mehr zeitgemäß, dass Änderungsanträge während der Sitzungen nur dem Vorsitzenden vorgelegt werden. Diese müssen allen Ausschussmitgliedern und allen Besuchern vor Augen geführt werden.

Dass bei der informativen Einbeziehung aller Anwesenden unbedingt bessere Bedingungen zu verwirklichen sind, erklärt sich auch aus dem Umstand der Komplexität des Arbeitsauftrages: Wie sollen die Paragrafen des Wasserverträge in Verbindung mit Zitaten aus anderen Rechtsquellen (Gerichtsurteile, andere Gesetze, Rechtsver­ordnungen etc.) öffentlich und unabhängig geprüft werden, wenn die aktuellen Textquellen, über die gesprochen wird, nicht mit einem Flatscreen öffentlich präsentiert werden? Es bleibt zu hoffen, dass der Vertreter der Piraten-Fraktion Gerwald Claus-Brunner hier entsprechend „nachbessert“, so dass der Ausschuss zukünftig transparent und bürgernah arbeitet.

Unabhängig davon, wie die mediale Inszenierung der Schlichtungsgespräche zu dem Konflikt um „Stuttgart 21“ beurteilt wird, die Art der Durchführung und Organisation kann als positives Beispiel angeführt werden, an dem sich der Sonderausschuss orientieren sollte.

Inwieweit der Sonderausschuss seinem Arbeitsauftrag gerecht werden kann, hängt auch davon ab, ob dem Sonderausschuss genügend Sach- und Personalmittel zur Verfügung gestellt werden. Die Beantwortung dieser strittigen Frage wurde vom Sonderausschuss an den Präsidenten des Abgeordnetenhauses delegiert, der sich zu dieser Frage positionieren soll. Diese Strategie, strittige Fragen zu „externalisieren“, kann schnell als mangelndes Selbstbewusstsein des Sonderausschusses ausgelegt werden. Möglicherweise sollten sich alle Mitglieder des Sonderausschusses vergegenwärtigen, dass sie einen Volksentscheid repräsentieren, der von über 660.000 Berlinern unterstützt wurde. Auch lässt sich der Skandal der Teilprivatisierung durchaus mit dem Berliner Bankenskandal vergleichen. Bei letzterem hat es einen Untersuchungsausschuss gegeben. Wäre es da nicht nahe liegend, dass die Vertreter des Sonderausschusses eine Ausstattung einfordern, die mit der des Untersuchungsausschusses zum Bankenskandal vergleichbar ist?

Dafür, dass die Ausschussgründung fast ein Jahr auf sich hat warten lassen, hätte anlässlich der Gründungssitzung mehr überzeugendes angeboten werden müssen. Vor dem Hintergrund, dass bei der Vertragsprüfung vor allem juristische Aspekte von hoher Brisanz geprüft werden müssen, ist es auffällig, dass die Fraktionen nur wenig Juristen ins Rennen geschickt haben: Mit Ausnahme der beiden Vertreter der CDU-Fraktion, Dr. Hans-Christian Hausmann wie Claudio Jupe, und Dr. Lederer von der Partei Die LINKE sind keine weiteren Juristen vertreten. Da bleibt nur zu hoffen, dass die Prüfung zielgerichtet verläuft und den Berlinern ein Endlos-Palaver um den heißen Brei erspart bleibt. Dass diese Befürchtungen nicht aus der Luft gegriffen sind, beweist der unsinnige Antrag der grünen Abgeordneten Heidi Kosche, die auch einen Vertreter des Bundeskartellamts vor den Sonderausschuss laden wollte. Da das Kartellamt keine Vertragsprüfungen vornimmt, sondern es vorgegebene Kostenstellen regionaler Wasserversorger, die privatrechtlich organisiert sind, vergleicht, wäre von Seiten des Kartellamtes kein Beitrag zur Frage der Vertragsprüfung zu erwarten gewesen. Für den Vorsitzenden des Sonderausschusses, den Rechtsanwalt und Notar Claudio Jupe (CDU) wird die Herstellung einer zielgerichteten Diskussion gewiss eine Herausforderung darstellen.

Immerhin sind die zurückliegenden 11 Monate von Seiten der Zivilgesellschaft genutzt worden, um rechtliche Schritte gegen die umstrittenen Wasserverträge in die Wege zu leiten. So hat sich bereits unmittelbar nach dem Volksentscheid ein „Arbeitskreis unabhängiger Juristen“ gebildet, der in regelmäßigen Treffen bei dem Umweltverband „GRÜNE LIGA Berlin“ die Verträge unter europarechtlichen, haushaltsrechtlichen und verfassungsrechtlichen Aspekten geprüft hat. Als Ergebnis dieser Prüfung konnte in enger Zusammenarbeit mit Transparency International Deutschland e.V., der Verbraucherzentrale Berlin und den Berliner Wasserbürgern durch die Kommission der EU eine noch laufende Vorprüfung eingeleitet werden. Auch wird in einem juristischen Leitfaden ein Weg aufgezeigt, wie Abgeordnete mittels eines Organstreitverfahrens verfassungsrechtlich gegen die Wasserverträge vorgehen können. Dieser Leitfaden wurde bereits mehreren Abgeordneten zugestellt und es wird sich zeigen, ob – unabhängig vom Sonderausschuss ––eine Fraktion bereit ist, den Weg der Organklage zu gehen. Die Arbeitsergebnisse des Arbeitskreises unabhängiger Juristen können auf dem Internetportal der Wasserbürger unter www.wasserbuerger.de eingesehen und anderen Interessierten zur Verfügung gestellt werden.

Die nächste Sitzung des Sonderausschusses findet nicht wie ursprünglich angekündigt am Freitag, d. 20. Januar um 12:00 Uhr, statt. Der Termin wurde verlegt auf den 17. Februar.
Sie wollen wissen, welche Kollegen die Fraktionen ins Rennen geschickt haben? Hier finden Sie eine tabellarische Übersicht mit den Berufsangaben.

Thomas Rudek*

* Sprecher und Verfasser des ersten gewonnen Volksentscheids in Berlin zur Offenlegung der Geheimverträge bei den teilprivatisierten Berliner Wasserbetrieben

Kontakt: Tel.: 030 / 261 33 89 (AB) / ThRudek@gmx.de

 

 

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