Tagesspiegel: „Beschwerde zum Beihilfeaspekt erledigt?“ Wasserbürger warnen vor Schnellschüssen

siehe auch:
Wer „bremst“ die Verträge?
Die beiden Anfragen der EU-Abgeordneten Alexandra Thein (FDP)
EU prüft: Pressekonferenz von Transparency International Deutschland und der Verbraucherzentrale Berlin
Interview mit Sabine Finkenthei, Juristin und von der Arbeitsgruppe unabhängiger Juristen

TS v. 24.07.2011: Erste EU-Bilanz zum Berliner Wasser
Verstoß gegen Vergaberecht wird weiter geprüft

Der Teilverkauf der Berliner Wasserbetriebe (BWB) 1999 verstößt nach Einschätzung der EU-Kommission nicht gegen das europäische Beihilferecht. In einer schriftlichen Beschwerde der Verbraucherzentrale und Transparency International (TI) in Berlin sei „kein ausreichend konkreter Tatbestand“ zu erkennen, sagte Carsten Lietz, Sprecher der deutschen Vertretung der Kommission. Sollten beide Verbände ihre Vorwürfe nicht mit weiteren Informationen untermauern, „halten wir die Beschwerde zum Beihilfeaspekt für erledigt“, sagte Lietz dem Tagesspiegel. Offen ist allerdings noch, ob der Verkauf von 49,9 Prozent der Anteile an den ehemals landeseigenen Wasserbetrieben gegen europäisches Vergaberecht verstieß. Dazu lasse sich noch nichts sagen, so der Sprecher.
Wie berichtet, hatten Verbraucherzentrale und TI in einem mehrseitigen Brief an Brüssel dem Senat vorgehalten, den Investoren RWE und Veolia mit der Teilprivatisierung der Wasserbetriebe eine vertragliche Gewinngarantie gegeben und mit dieser „Art Subvention“ gegen europäisches Recht verstoßen zu haben. Das sehen die Wettbewerbshüter der EU offenbar anders.
Nach Ansicht der beiden Berliner Verbände hätte die Teilprivatisierung vom Land Berlin ausgeschrieben werden müssen. Der Senat begnügte sich stattdessen mit einem offenen, internationalen Bieterwettbewerb in einem diskriminierungsfreien Verfahren – ähnlich wie bei der Bankgesellschaft Berlin, die 2007 komplett verkauft wurde. Nach Meinung der Wirtschaftsverwaltung war eine förmliche Ausschreibung der Wasserbetriebe nicht erforderlich, weil es nicht um die Vergabe einer öffentlichen Dienstleistung ging, sondern um den Verkauf von Unternehmensanteilen.
Diese Auffassung war bisher wenig umstritten und wurde von der EU-Kommission auch schon 1999 geprüft. Jedoch entschied der Europäische Gerichtshof 2005, dass das öffentliche Auftragsrecht nicht durch „wirkungsgleiche Anteilserwerbsverträge“ umgangen werden dürfe. Außerdem wurden die Verträge zur Teilprivatisierung nachträglich verändert. Die Experten in Brüssel werden also noch einmal genauer hinschauen. Unvorbereitet sind sie nicht, denn die FDP-Europaabgeordnete Alexandra Thein hatte schon im Februar 2011 zwei förmliche Anfragen gestellt, die sich mit den Argumenten von Verbraucherzentrale und Transparency weitgehend decken. Antworten erhielt sie bislang nicht.
Aus kartellrechtlicher Sicht wurde der teilweise Verkauf der Wasserbetriebe von der Brüsseler Kommission schon im Spätsommer 1999 geprüft und genehmigt. za

    • von Wasserfreunde
    • 24.07.2011 21:01 Uhr
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    Abgekartert

    Auch wenn das Schreiben von Transparency International und der Verbraucherzentrale auf den 15.6. datiert ist, wundert es doch, dass die zuständige Generaldirektion (GD) der Europäischen Kommission so schnell den Beihilfeverdacht abbügelt. In dem Schreiben ist anhand der jetzt offen zugänglichen Vertragspassagen dezidiert nachgewiesen worden, dass in der Vertragskonstruktion der Beihilfetatbestand vereinbart worden ist. Vielleicht sollte sich die GD mit den Verträgen im Detail auseinanderzusetzen. Prof. Keßler, ein ausgewiesener EU- und Kartellrechtsexperte, hat auf der erwähnten Pressekonferenz explizit darauf hingewiesen: „In der Tat ist auf diese … Ausfallgarantie des Landes Berlin nicht zurückgegriffen worden. Doch das spielt auch keine Rolle. Maßgeblich ist die tatsächliche Vertragsgestaltung.“ Die Vertragsgestaltung ist es, die auf den Prüfstand der EU-Kommission gehört. Jetzt so zu tun, als ob es die Gewinngarantien nicht gegeben hat, die steuerrechtlichen Optimierungen zu Lasten der Verbraucher nicht gegeben hat, ist ein Skandal. Gut, dass Prof. Keßler auch herausgestellt hat, dass gegen Entscheidungen der Kommission Rechtsmittel eingelegt werden können. Alle Dokumente wie die Tonmitschnitte von Prof. Keßler (auch für Nicht-Juristen leicht verständlich) können unter http://berliner-wasserbuerger.de/?p=595 angehört werden. Vielleicht sollte auch die Redaktion des Tagesspiegels diesen kostenfreien Service in Anspruch nehmen.

    • von Wasserbuerger
    • 25.07.2011 00:33 Uhr
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    Beschwerde erledigt???

    Der Tagesspiegel-Artikel läßt jede subsanzielle Information vermissen! Das Zitat von EU-Sprecher Lietz läßt offen, wer sich hinter „WIR“ verbirgt. Hat es eine Vorprüfung gegeben? Welche Unterlagen sind hinzugezogen worden? Ist die Entscheidung nachvollziehbar und „transparent“? Weiter schreibt „der Tagesspiegel“ (wer hat den Artikel geschrieben???), dass sich die Anfrage der FDP-Europaabgeordneten Alexandra Thein mit den Argumenten von Verbraucherzentrale und Transparency weitgehend decken. Da muss ich doch als des Lesens Kundige die Redaktion wirklich bitten! Lesen Sie sich das Schreiben durch und vergleichen Sie dieses mit den beiden Anfragen. Im Schreiben wurde eine Beweisführung durch Einbindung von Vertragspassagen als Beweisquelle geliefert, Frau Thein hat lediglich Anfragen ohne eine Beweisführung eingereicht. Vertragspassagen wurden nicht angeführt. DAS ist ein erheblicher Unterschied. Es drängt sich eine Frage auf: Warum werden die ersten juristischen Schritte journalistisch durch die Berichterstattung so abgewertet?

    • von Zeitbeobachter
    • 25.07.2011 10:23 Uhr
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    wirklich kein ausreichend konkreter Tatbestand?

    Ich bin gerade dem Hinweis des Wasserfreunds gefolgt und habe mir auf der Wasserbürger-Seite die Mitschnitte angehört. Es ist erfreulich, wie verständlich ein Jura-Professor die angeblich so komplizierten Sachverhalte auf den Punkt bringt. Mich würde interessieren, warum der Tagesspiegel nicht auf die sachlichen Argumente (Pro und Contra) wie die Belege näher eingeht. Die Argumente von Transparency International und der Verbraucherzentrale sind dargelegt und können von jedem nachvollzogen werden. Wenn der Tagesspiegel es einfach dabei belässt, ein Statement der Kommission abzugeben, dann ist das sehr unbefriedigend, um es einmal nett zu formulieren.

  • Verärgert

    Verärgert

    Ich empfinde den Bericht auch als sehr oberflächlich. Die Menschen wollen die Rekommunalisierung. Das hat der Volksentscheid zur Offenlegung der Geheimverträge deutlich gemacht. Am letzten Wochenende sind auf einem Sommerfest viele Zettel verteilt worden, auf denen für ein neues Volksbegehren geworben wurde. Es geht um ein (Volks)Gesetz, in dem alle Berliner darüber abstimmen können, wie viel bzw. wie wenig die Konzerne für ihre Anteile bekommen sollen. Ich habe gerade gegoogelt und bin im Internet auf die Seite der Wasserbürger (www.wasserbuerger.de) gestoßen. Bleibt zu hoffen, dass es bald los geht und wir das traurige Kapitel der Teilprivatisierung endlich zum Abschluss bringen. Die Stimmen von mir und all meinen Freunden, Nachbarn wären jedenfalls diesem Volksbegehren sicher.

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