UN-Sonderbeauftragter über Folter Nils Melzer kapituliert / Wird der Fall Julian Assange von der Politik zur Chefsache? Update 1

Der Jurist Nils Melzer tritt von seinem UN-Mandat als Sonderberichterstatter über Folter zum März zurück und wird zum 1. Juli beim Internationalen Roten Kreuz die Stelle des Direktors für Internationales Recht, Politik und humanitäre Diplomatie besetzen. Melzers UN-Mandat wäre erst im November ausgelaufen.

Vor kurzem sah sich Melzer mit einer Schmutzkampagne, initiiert von der Süddeutschen Zeitung, konfrontiert. Ihm wurden nicht nur „fragwürdige Methoden“ unterstellt, sondern auch eine Nähe zum Kreml, zu Rechtsextremisten und Verschwörungstheoretikern. Die Redaktion der Süddeutschen Zeitung verweigerte dem UN-Sonderberichterstatter die Möglichkeit einer korrigierenden Gegendarstellung.

Melzer übte sein Mandat seit 2016 aus. Mediale Aufmerksamkeit in Deutschland erlangte er durch sein Engagement für den Journalisten und Gründer von Wikileaks Julian Assange. In seinem Buch „Der Fall Julian Assange. Geschichte einer Verfolgung“ beschrieb er detailliert, wie Julian Assange Verbrechen des amerikanischen Militärs aufdeckte und auf seiner Internetplattform veröffentlichte. Auch die Anzeigen aus Schweden gegen Assange und deren Verlauf wie die Rolle der schwedischen Justiz werden von Melzer genauso faktenreich dargestellt wie die Flucht von Assange nach London in die Botschaft von Ecuador und seine Auslieferung an die britische Justiz nach einem Regierungswechsel in Ecuador.

Smiley nachgedachtNun wird jemand, der das Mandat eines UN-Sonderbeauftragten antritt, als psychologische Voraussetzung für die Ausübung dieses Mandats ein dickes Fell mitbringen und weder vor einer Schmutzkampagne einknicken noch wegen haltlosen Unterstellungen sein Mandat aufgeben. Vermutlich wird sich Nils Melzer durch eine nüchterne Bilanz seiner Durchsetzungskraft zu diesem Schritt entschieden haben. Bereits in seinem Buch über Julian Assange beschreibt Melzer sehr genau, wie das formelle Verfahren abläuft, wenn er als Sonderbeauftragter eine demokratische Regierung kontaktiert, um Folter-Vorwürfen nachzugehen, um diese auf ihre Berechtigung hin zu prüfen. Und es ist erschreckend zu lesen, wie ihm als UN-Sonderbeauftragten mit dem Status eines Diplomaten auch formalrechtlich Steine in den Weg gelegt worden sind und ihm seine Tätigkeit massiv erschwert worden ist. Was Melzer gewiss auch mit zu seiner Entscheidung bewegt hat, waren die Andeutungen der „Journalisten“ in der Süddeutschen:

„Kann es sein, dass dieser UN-Berichterstatter mit seinem Aktivismus Grenzen überschreitet? Wer kontrolliert solche Kontrolleure überhaupt? Von den UN in Genf ist dazu nur indirekt ein Kommentar zu erhalten: ‚Sonderberichterstatter haben keine anderen Sprecher als sich selbst.‘ Melzers Mandat läuft noch bis November.“

Gewiss wird Melzer auch in seiner neuen Eigenschaft beim Internationalen Roten Kreuz das Schicksal von Julian Assange verfolgen. Und wer weiß, ob er in dieser Eigenschaft noch andere, möglicherweise bessere Mittel zugunsten von Julian Assange zum Einsatz bringen kann.

Twitter Assange im WahlkampfNun ist erst einmal die deutsche Politik gefordert, den Fall Julian Assange zur Chefsache zu machen. Reporter ohne Grenzen fordert kürzlich den Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auf:

„Deshalb muss Bundeskanzler Scholz nächste Woche bei US-Präsident Biden darauf dringen, dass die Anklage fallengelassen wird. Im Koalitionsvertrag hat sich die Bundesregierung einer ‚wertebasierten Außenpolitik‘ verschrieben. Das schließt mit ein, verbündete Regierungen wie Großbritannien und die USA zu kritisieren. Es ist überfällig, dass sich die neue Bundesregierung klarer positioniert als die Regierung Merkel“, sagte Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen (RSF).

Um den Forderungen dieser Pressekonferenz mehr Nachdruck zu verleihen, fand die Pressekonferenz auch mit dem Bundesvorsitzenden des deutschen Journalisten-Verbands (DJV) wie der Bundesgeschäftsführerin der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di und dem Geschäftsführer von Netzwerk Recherche statt. Zugeschaltet war neben anderen Teilnehmern journalistischer Organisationen aus dem deutschsprachigem Ausland auch Günter Wallraff.

Über die Presseresonanz mag sich jeder selbst ein Urteil bilden. Im Berliner „Tagesspiegel“ wurde am 1.2. ein Artikel mit dem Titel „Kanzler muss etwas für Assange tun. Journalistengruppen mahnen vor USA-Reise“. Der Artikel stand auf Seite 23!

Kommentar Rudek: So wichtig es auch ist, dass journalistische Organisationen, die sich dem investigativem Journalismus verpflichtet fühlen, die Freilassung von Julian Assange fordern, so fragwürdig ist der Hinweis auf eine „wertebasierte Außenpolitik“ mit einem Staat, der sich weder von der Todesstrafe verabschiedet hat, noch die Waffengesetzgebung einschränkend novelliert, noch die richtigen Lehren aus dem NSA-Skandal gezogen hat. So erinnert Nils Melzer in seinem Buch zurecht:

„Nachdem die Snowden-Leaks im Jahr 2013 die gezielte Überwachung deutscher Spitzenpolitiker durch die NSA enthüllt hatten, wurde zunächst natürlich publikumswirksam protestiert, ein deutsch-amerikanisches „No-Spy“-Abkommen gefordert, ein Untersuchungsausschuss eingesetzt und sogar ein Strafverfahren wegen der Telefonüberwachung von Bundeskanzlerin Angela Merkel eingeleitet“ (Melzer, Der Fall Julian Assange, S. 238).

Alles verlief im Sande. Ein Sturm im Wasserglas. Über die Gründe wie über ausstehende Forderungen ist damals auf diesem Portal unter dem Titel „BND-NSA Skandal, Freihandelsabkommen und warum ein No-Spy Abkommen ins Leere läuft. Ein Diskussionspapier von Thomas Rudek“ ausführlich berichtet worden. Und so ist zu erwarten, dass sich die vertraulichen Gespräche zwischen Scholz und Biden auf die Ukraine konzentrieren und Assange mit keinem Sterbenswort erwähnt werden wird – ganz im Gegensatz zum Fall Nawalny. Hier wurde gegenüber dem Kreml stets Klartext gesprochen (so auch den Klartext bei Assange vermissend Melzer, S.239).

Whistleblower und deren Schutz stehen in diesem Land nicht auf der Agenda. Erinnern Sie sich noch an den Namen Margrit Herbst? An jene Veterenärin, die den BSE-Skandal in Schleswig-Holstein aufgedeckt hat? Das Netzwerk zwischen Politik und Fleischindustrie reichte soweit, dass sie nie wieder eine Anstelllung gefunden hat und auf Sozialhilfe angewiesen ist. Ihre Rehabilitierung ist bis heute nicht erfolgt:

„2016 beriet der Schleswig-Holsteinische Landtag über einen Antrag der Piratenpartei, den Einsatz von Herbst zu würdigen, den von ihr geäußerten BSE-Verdacht als „nicht ausgeräumt“ zu bezeichnen und eine Entschädigungszahlung zu leisten. Der Antrag wurde mit den Stimmen aller anderer Fraktionen abgelehnt.“

Übrigens: Auch der grüne Überflieger Robert Habeck gehörte damals dem Landtag in Schleswig-Holstein an und machte zum Fall der Vetenärin Margrit Herbst keine gute Figur (s.a. BSE-Tierärztin : Der Fall Margrit Herbst wird neu aufgerollt„). .

Über Vorschläge für einen gesetzlichen Schutz von Whistleblowern vor allem in der Finanz“industrie“ siehe hier.

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