Kernforderungen der Interessengemeinschaft „Faire Mieten für Alle“

Kernforderungen der Interessengemeinschaft „Faire Mieten für Alle“

Auch in Berlin wird die Kritik an der Wohnungspolitik größer. Zahlreiche Initiativen betroffener Mieter organisieren sich. Die Politik reagiert verhalten: Die Modernisierungsumlage bei der energetischen Gebäudesanierung als der wichtigste Preistreiber soll von 11% auf 8% angesenkt werden, der soziale, kommunale Mietwohnungsbau soll angekurbelt und die Mietpreisbremse soll „verschärft“ werden. Sowohl in der Zivilgesellschaft wie in den Leitmedien schießt man sich auf große private Wohnungsunternehmen wie die „Deutsche Wohnen AG“ regelrecht ein. Junge Aktivisten wollen sogar ein Volksbegehren mit anschließendem Volksentscheid zur Enteignung der Deutschen Wohnen starten: Ein wenig aussichtsreiches und vor allem völlig ungenügendes Projekt, meint Thomas Rudek von der Trautvetter klInteressengemeinschaft „Faire Mieten für Alle“, denn zum einen gibt es auf dem privaten Wohnungsmarkt andere Immobilienhaie, die viel brutaler vorgehen, und zum anderen stellen selbst kommunale Anbieter den Preiswucher der Deutschen Wohnen in den Schatten, wie aus einem Vortrag von Christoph Trautvetter (Netzwerk Steuergerechtigkeit, s. Folie / Bild rechts) hervorging.

Für Rudek von der Interessengemeinschaft „Faire Mieten für Alle“ stehen vor allem die politisch Verantwortlichen in der Verantwortung, Rahmenbedingungen zu schaffen, die faire Mieten auch für von Armut betroffene Menschen „überall in Berlin, auch im Innenstadtbereich“ ermöglichen. So ist es beispielsweise überfällig, dass die Modernisierungsumlage abgeschafft und durch ein steuerliches Abschreibemodell vollständig ersetzt wird: „Die energetische Gebäudemodernisierung ist auch klimapolitisch häufig sinnvoll und notwendig. Dass aber diese Modernisierungskosten allein und dauerhaft den Mietern in Rechnung gestellt werden, ist eine Unverschämtheit, zumal die Mieter bereits die enormen Belastungen beispielsweise beim Fensterwechsel und der Wärmedämmung der Außenfassade ertragen müssen. Oft erstrecken sich derartige Beeinträchtigungen über einen Zeitraum von über einem Jahr.“ Die Vermieter können 11% der Modernisierungskosten auf die Mieter „umlegen“. Für Rudek unhaltbar: „Zum einen haben die Vermieter die Möglichkeit beispielsweise durch teure Materialien, die Modernisierungskosten in die Höhe zu treiben. Ob die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit auch wirklich eingehalten werden, wird kaum kontrolliert.“ Doch das eigentliche Problem bei der Modernisierungsumlage liegt in der dauerhaften Steigerung der Miete: „Der Vermieter hat bei einer 11%igen-Umlage seine Kosten bereits nach 10 Jahren durch die höheren Mieten wieder refinanziert, aber die Miethöhe bleibt.“ Damit diese „untragbare, mafiöse Abzocke“ beendet wird, fordern Rudek und seine Unterstützer ein anderes Finanzierungsmodell: „Natürlich wollen Wohnungsunternehmen auf den Kosten für die energetische Gebäudesanierung nicht sitzen bleiben. Daher erscheint es nicht nur sinnvoll, sondern auch gerecht, wenn die Vermieter die Modernisierungskosten von der Steuer absetzen können“, so Rudek.

Neben dieser Forderung nach einem anderen Finanzierungsmodell bei der energetischen Gebäudesanierung gehört nach Ansicht der Interessengemeinschaft auch das Berechnungsverfahren zur ortsüblichen Vergleichsmiete als die Bezugsgröße bei der Berechnung der Miethöhe beim Abschluss neuer Mietverträge überprüft und verändert. So ist es nach Rudek nicht nachvollziehbar, warum nur die Mietverträge, die in den letzten 4 Jahren abgeschlossen worden sind, bei Neuvermietungen berücksichtigt werden, und nicht alle Bestandsmieten.“ In einer ARD-Reportage wurde aufgezeigt, dass die Miethöhe bei neu abgeschlossenen Verträgen um 10% niedriger ausfallen, wenn das jetzige Verfahren Vertragsabschlüsse der letzten 10 Jahre berücksichtigen würde.

Um diesen Kernforderungen den erforderlichen Druck zu verleihen, könnte auch die Instrumente der direkten Demokratie unterstützend ins Feld geführt werden. „Wenn ich durch den Gleisdreieckpark in unmittelbarer Nachbarschaft des Potsdamer Platzes laufe und all die luxuriösen neuen Eigentumswohnungen sehe, dann wird deutlich, dass hier „Gated Areas“ geschaffen werden: Wohninseln für die Reichen, Privilegierten, für die High Potenzials. Ansätze für eine sozial durchmischte Stadt sind von Seiten der verantwortlichen Städteplaner nicht gewollt. In diesen Luxusvierteln manifestiert sich die neoliberale Umverteilung von unten nach oben. Allerhöchste Zeit diesen Umstand umzukehren“, so Rudek. Ihm, der gemeinsam mit der Juristin Sabine Finkenthei bereits den Gesetzestext des ersten erfolgreichen Volksentscheids in Berlin – es ging um die Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe – geschrieben hat, schwebt ein neues Volksgesetz vor, welches private Investoren verpflichtet, 30% der Bruttogeschoßfläche an von Armut betroffene Menschen zu einem Quadratmeterpreis von 5€ zu vermieten. Gefragt, ob das nicht ein massiver Eingriff in die Eigentumsrechte sei, antwortet Rudek: „Das Gegenteil ist der Fall, denn der Eigentumsschutz in Deutschland ist dank unseres Grundgesetzes nicht absolut, sondern relativ. Im Grundgesetz heißt es ausdrücklich, dass Eigentum auch verpflichtet. Höchste Zeit, dass dieser Grundsatz auch konsequent angewendet wird, wenn es darum geht, der Spekulation mit Wohnraum Einhalt zu bieten.“ Auf den Einwand, dass zu einem so niedrigen Quadratmeterpreis in Berlin kein Bauherr bauen könne, entgegnet Rudek, dass die Berechnungen und Kalkulationsgrundlagen sich nicht auf den Quadratmeter beziehen müssten, sondern auch die gesamte Bruttogeschoßfläche. Bei der Kalkulation müßte eine bei Wirtschaftsunternehmen durchaus übliche Quersubventionierung zum Einsatz kommen. Diejenigen, die beispielsweise 70% der Bruttogeschoßfläche als Eigentumswohnungen kaufen wollen, müßten dann durch einen entsprechend höheren Kaufpreis die 30% Bruttogeschoßfläche für günstige, soziale Mietwohnungen mitfinanzieren. Auf diese Weise, so Rudek, hätten wir dann auch eine sozial gerechte Umverteilung im Bereich der Wohnungspolitik.

Rückfragen mobil unter 01522 3627260

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BGE in den Leitmedien – Mehr Schein als existenzsicherndes Sein

BGE und soziale Gerechtigkeit – nicht unter der relativen Armutsgrenze!

Am Ostermontag, dem 17.4.2017, lief im Deutschlandfunk in der Reihe „Hintergrund“ die Sendung „Das bedingungslose Grundeinkommen – Balsam für die Seele“. Bei einem BGE in Höhe von 1000 € brutto handelt es sich wahrlich um „ein süßes Gift“. Übrigens: Auch in der letzten TV-Sendung „quer extra“ ging es um die Zukunft der Arbeit und auch in diesem Kontext (Indsutrie 4.0) wurde das BGE als Modell zur Sicherung der Nachfrage diskutiert – und zwar in der Höhe des durchschnittlichen Verdienstes! Distanziert hierzu aus der elitär-sozialwissenschaftlichen Perspektive leider Prof. Harald Welzer.

Für eine ernsthafte Diskussion um ein menschenwürdiges Grundeinkommen wäre schon viel gewonnen, wenn die offizielle relative Armutsgrenze in Höhe von 60 % des durchschnittlichen Erwerbseinkommens als Meßwert angesetzt werden würde. Nur zur Erinnerung: Nach Angaben des Bundesamtes für Statistik lag das durchschnittliche Jahreseinkommen eines Arbeitnehmers im Jahr 2015 bei 32643 € brutto. Nach diesen Angaben hätten wir dann für das BGE einen Richtwert von monatlich ca. 1600 € brutto. Dieser Betrag ist auch deshalb als moderat bzw. zurückhaltend zu bewerten, weil die anderen Einkommensarten (Einkommen aus Vermögen) in die Berechnung NICHT einbezogen worden sind. Zu koppeln wäre dieser Richtwert an eine armutsindizierte Inflationsanpassung, wie sie von dem verstorbenen Statistiker Hans Wolfgang Brachinger entwickelt worden ist (siehe den von ihm entwickelten Index der wahrgenommenen Inflation).

Brachinger IndexderWahrgenommenenInflation png – Wikipedia

Abschließend noch einen Literaturhinweis zu den neoliberalen bzw. marktextremistischen Tricks bei der Umstellung zur Berechnung der Inflationsrate: https://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2014/03/29/die-schande-von-europa-deutschland-beutet-seine-arbeiter-aus/

Auch wenn dieser Artikel aus dem Jahr 2014 stammt, so verdeutlicht dieser Artikel von dem Staatsrechtler Joachim Jahnke doch sehr deutlich alle „Vakanzen“ und Ausblendungen in den Diskussionen um den Arbeitsmarkt in den Leitmedien. Wer das Thema vertiefen möchte, dem sei die aktuelle Publikation von Werner Rügemer „Die Fertigmacher“ empfohlen.

Links:
statistik/daten/studie/164047/umfrage/jahresarbeitslohn-in-deutschland

www.deutschlandfunk.de/bedingungsloses-grundeinkommen-balsam-fuer-den-sozialen.724.de.html?dram:article_id=383978

quer extra (Bayern 3) vom 13.04.2017 zum Thema „Zukunft der Arbeit“ u.a. mit Prof. Harald Welzer („Klimakriege“, „Die smarte Diktatur“)
www.br.de/mediathek/video/sendungen/quer/quer112.html

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Die Scheindemokratie & ihre Scheinheiligen

Wir erinnern uns: Während die Leitmedien mit ihren Gatekeepern und Alphajournalisten glaubten darüber berichten zu müssen, ob bei der Vereeidigung von Trump oder Obama mehr Menschen anwesend waren, so beweist diese Berichterstattung erneut beängstigende Fehlentwicklungen gezielter Desinformation. Auch das Wiederkäuen der Einflussnahme russischer IT-Spezialisten auf den Wahlkampf dient einzig der Ablenkung von einer tiefen Legitimationskrise der amerikanischen Demokratie. Bereits Obama konnte trotz einer massiven Kampagne zur Mobilisierung von Wählern nur 33 % der Stimmen auf sich vereinen. Trump wählten lediglich 59,8 Millionen, das sind 26,4% der Wahlberechtigten. 95,2 Millionen Amerikaner haben nicht gewählt! Das sind 42% der Wahlberechtigten! Diese Fehlentwicklungen stellen nicht nur das demokratische System in Frage. Wer sich mit den Ursachen näher beschäftigt, wird schnell erkennen, dass die Probleme hausgemacht sind, dass es vor allem republikanische Kräfte sind, die gezielt daran arbeiten, immer mehr Wähler so genannter Randgruppen vom Wahlrecht auszugrenzen, wie kürzlich Thomas Reintjes in seinem Feature „Wahlsystem USA – die defekte Demokratie“ herausstellte.

Auch in europäischen Staaten nehmen immer mehr Menschen an Wahlen nicht teil. Statt sich dieses Themas offensiv anzunähern und sich für die längst überfällige Einführung einer Wahlpflicht auszusprechen, scheuen die Leitmedien diesen überfälligen offensiven Diskurs wie der Teufel das Weihwasser! Diese Verweigerungshaltung ist weder zu akzeptieren noch zu billigen, schließlich ist eine hohe Wahlbeteiligung das Lebenselexier einer demokratischen Parteiendemokratie. Ähnlich wie die Gurtpflicht den Schutz von motorisierten Verkehrsteilnehmern erhöht, so bildet die Wahlpflicht das Fundament, auf dem sich eine Demokratie auch in Krisenzeiten erst behaupten kann. Die Ignoranz der Leitmedien spiegelt sich auch in den manipulativen Sonntagsfragen führender demoskopischer Institute wieder: Die Frage nach der Wahlbeteiligung, ob man überhaupt wählen würde, fällt unter den Tisch, so dass stets ein komplett falsches bzw. hochgradig verzerrtes Bild vermittelt wird. Mit diesem selektiven Blick wird man dann noch hypnotisch darauf eingeschworen, dass der politische Kampf „in der Mitte“ gewonnen werde.

Diese manipulative Verzerrung ist auch aus einem anderen Grund besorgniserregend. Unmittelbar nach der letzten Landtagswahl in Bremen veranstaltete die Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin eine Tagesveranstaltung zum Thema „Nichtwähler – das unbekannte Wesen“. Zwei Professoren aus Oldenburg, ein Volkswirt und ein Jurist, stellten in einem Workshop ihre Ergebnisse mit dem verblüffenden Ergebnis vor, dass in Ländern mit Wahlpflicht die Einkommenskluft zwischen Reich und Arm kleiner ausfällt als in Ländern ohne Wahlpflicht! Der Erklärungsansatz war genauso einleuchtend wie einfach: In Ländern mit Wahlpflicht müssen die etablierten Parteien sich um alle Wähler kümmern, und nicht nur um die Mitte, während in den Ländern ohne Wahlpflicht die etablierten Parteien die Nichtwähler größtenteils abgeschrieben haben! Exakt diese Einstellungshaltung wurde auch auf den anschließenden Podiusmdiskussionen durch soziologische Forschungsdaten untermauert! Da die Nichtwähler aufgrund ihrer Verortung im rechten Umfeld für die SPD nur schwer zu gewinnen seien, läßt man diese Gruppen rechts liegen. Diese interessenspolitische bzw. polit-positivistische Einschätzung führt nicht nur nicht weiter, sie trägt dazu bei, dass die Legitmationskrise der Demokratie ähnliche Auswüchse annehmen wird wie in den USA.

Um diesen Entwicklungen Einhalt zu bieten, muss der Druck der Zivilgesellschaft vergrößert werden. Möglicherweise kann durch ein neues Volksbegehren die Ignoranz eines repräsentativen Systems, dem die Wähler fern bleiben, durchbrochen werden. Ein neues Volksgesetz müßte auf den Weg gebracht werden, in dem die Höhe der Diäten an die Wahlbeteiligung gekoppelt wird: Schaffen es alle Parteien viele Wähler für die Parlamentswahl zu mobilisieren, dann sollen die Abgeordneten für die hohe Wahlbeteilung auch mit hohen Diäten belohnt werden. Fällt die Wahlbeteiligung hingegen gering aus, dann fallen auch die Diäten in den Keller.

Wie schrieb Kark Kraus bereits während der Weimarer Republik so treffend: „Autovertreter verkaufen Autos. Versicherungsvertreteter Versicherungen. Und Volksvertreter?“ Lassen wir uns nicht länger für dumm verkaufen: Wenn etablierte Politiker durch ihre Politik mit Vorsatz immer mehr Nichtwähler produzieren, und dabei ganz bewußt das Thema „Wahlpflicht“ mit einem Tabu belegen, dann besteht dringender Handlungsbedarf. So wie die Steuerplicht als ökonomische Grundlage staatlicher Handlungsfähigkeit in unserem Bewusstsein fest verankert ist, so muss auch die Wahlpflicht zum Grundkonsens einer gelebten Demokratie erhoben werden!

 

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