13. Sept., 20.15 arte Themenabend: Organhandel

Dass in „schlechten Zeit“ viele sich gezwungen fühlen, die „eigene Haut zu Markte zu tragen“, ist lediglich eine oberflächliche Beschreibung. Kinder-, Frauen- und Organhandel sind tiefgreifende, charakteristische Merkmale, die mit der Liberalisierung und Globalisierung Hand in Hand gehen:

„Die im Sog der Finanzkrise untergegangen von der Welthungerhilfe im letzten Herbst vorgestellten alarmierenden Daten des Welthungerindex 2007 spiegeln sehr offensichtlich jene Zielsetzung wider, die mit dem neoliberalen Dreiklang eingeläutet worden ist: Es geht um die Korrektur der demografischen Entwicklung der Weltbevölkerung bzw. um die systematische Vernichtung einer Lebensperspektive für von Armut bedrohte Menschen. In diesem Zusammenhang ist es auch bezeichnend, dass die Auswirkungen der Finanzkrise auf die Währungsstabilität der Entwicklungsländer in der Berichterstattung westlicher Medienkonzerne eine absolut untergeordnete Rolle spielt – obwohl die Entwicklungsländer bereits im Oktober 2008 durchschnittlich einen Währungsverlust von 20 Prozent hinnehmen mussten. Da die meisten Entwicklungsländer ihre Importe in der Leitwährung bezahlen müssen, hat die Währungsabwertung verheerende Folgen: Der Zwang, seine Haut zu Markte zu tragen, wird noch stärker als bisher zunehmen. Die profitablen Geschäftsfelder neoliberaler Menschenverwertung umfasst nicht nur das gesamte Spektrum prekärer, menschen- und umweltverachtender Arbeitsverhältnisse, sondern erstreckt sich genauso über den Menschen- und Organhandel bis hin zur Frauen- und Kinderprostitution (Greve). Folgt man dem Effizienzstreben neoliberaler Profitmaximierung dann ist nicht viel Fantasie erforderlich, um sich vorzustellen, wo das Schicksal jene Kinder endet, die in global operierenden Netzwerken der Kinderprostitution gelandet sind: Nach der jahrzehntelangen Ausbeutung auf den internationalen Sexmärkten bleibt die Ausschlachtung der geschundenen Körper und gebrochenen Seelen für den prosperierenden Organhandel. Diese totalitäre Verwertung erinnert an jene Beispiele aus nationalsozialistischen Konzentrationslagern, die der ehemalige polnische Aphoristiker Stanislaw Jerzy Lec so treffend sarkastisch auf den Punkt brachte: „Dem letzten Weltkrieg ist es zu verdanken, dass wir neue Goldvorkommen entdeckt haben: Im Gebiß der Gefangen“ (Lec, S.11)[1]. Dem Sarkasmus von Lec folgend ist es den Fortschritten der Transplantationsmedizin zu „verdanken“, dass unterdessen auch Eingeweide und lebenswichtige Organe marktwirtschaftlich verwertet werden und den Besitzer wechseln: Ein funktionelle Kannibalismus hat sich eingebürgert, entsprechend dem Geschmack unserer Alltagskultur, in der das technisch Mögliche konsequent von denen eingekauft wird, die es sich leisten können.“

aus: Rudek, Thomas: Wege aus einer kranken Gesellschaft. In: Nielsen, B. / Kurth, W. / Reiß, H. J. (Hg.): Psychologie der Finanzkrise. Jahrbuch für Psychohistorische Forschung 10 (2009) (Mattes, Heidelberg 2009), S.
123–152.


[1] Die in der Verwaltung nationalsozialistischer Konzentrationslager angewandte Synergie aus Effizienz, Erniedrigung und sparsamem Wirtschaften hat der Dramatiker Peter Weiss in seinem Stück „Die Ermittlung – Oratorium in 11 Gesängen“ herausgestellt. In diesem Drama, dem das Aktenmaterial des Nürnberger Prozess zugrunde liegt, schildert ein KZ-Überlebender, wie aus Gründen der Einsparung beim Wachpersonal die Häftlinge nachts nicht zur Latrine heraus konnten, sondern statt dessen zur Verrichtung der Notdurft auf jene Schale zurückgreifen mussten, aus der sie auch ihr Essen zu sich nahmen.

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