Berliner Wasser-Verträge: Abgeordnete in der Pflicht – Gewinnausfallgarantie verletzt das Budgetrecht

Berliner Wasser-Verträge: Abgeordnete in der Pflicht – Gewinnausfallgarantie verletzt das Budgetrecht

Berlin 8.9.2011. Auf einer Pressekonferenz wurde am 7.9.2011 bei der Verbraucherzentrale Berlin ein juristischer Leitfaden unter dem Titel „Nichtigkeit der Berliner Wasserverträge und ihre Geltendmachung“ vorgestellt. Der Leitfaden wurde von einem Arbeitskreis unabhängiger Juristen erstellt, der sich nach dem ersten gewonnenen Volksentscheid in Berlin zur Offenlegung der Geheimverträge gegründet hat, und sich zum Ziel gesetzt hat, die bisher offen gelegten Dokumente rechtlich zu prüfen.

Im Mittelpunkt des Leitfadens steht die vertragliche vereinbarte Gewinnausfallgarantie des § 23.7 Konsortialvertrages. In dieser Klausel wird den privaten Anteilseignern RWE und VEOLIA eine im Teilprivatisierungsgesetz von 1999 in Aussicht gestellte Gewinnkalkulation garantiert, obwohl diese ursprüngliche gesetzliche Regelung infolge einer Normenkontrollklage durch den Verfassungsgerichtshof für teilnichtig erklärt wurde. Nach Ansicht des Arbeitskreises ist diese vertragliche Regelung eine Sicherheit im Sinne des Art. 87 I der Verfassung von Berlin (VvB), in dem das Budgetrecht des Abgeordnetenhauses seine verfassungsrechtliche Verankerung findet. Nach Art. 87 I VvB  sind für vertraglich vereinbarte Sicherheiten eine gesetzliche Grundlage erforderlich. Diese wurden nach dem Urteil des Verfassungsgerichtshofs durch den Gesetzgeber nicht geschaffen. Die Juristin Sabine Finkenthei, die den Arbeitskreis koordiniert, präzisiert: „Die bloße Billigung im Haushaltsplan stellt ebenso wenig eine ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung im Sinne von Art. 87 I VvB dar, wie die Zustimmung des Abgeordnetenhauses von Berlin zu den Verträgen mit den privaten Investoren. Gerade in Bezug auf die Sicherheitsleistung des § 23.7 hätte es einer ausdrücklichen und gesetzlichen Ermächtigung durch den Gesetzgeber bedurft. Doch diese in Art. 87 I VvB geforderte gesetzliche Grundlage wurde nach dem Urteil des Verfassungsgerichtshofs zum Teilprivatisierungsgesetz nicht geschaffen.“

Nach § 134 BGB sind Rechtsgeschäfte, die gegen gesetzliche Normen verstoßen, nichtig. Da es sich nach Einschätzung des Arbeitskreises bei der Gewinnausfallgarantie um den Hauptzweck des Vertrages handelt, hätte der Verfassungsverstoß gemäß § 139 BGB die Gesamtnichtigkeit des Vertrages zur Folge. Da in diesem Fall das Budgetrecht des Abgeordnetenhauses verletzt worden ist, müssen Abgeordnete den Senat auffordern, den Vertrag gerichtlich anzufechten. Kommt der Senat dieser Forderung nicht nach, können die Abgeordneten im Rahmen eines fristgebundenen Organstreitverfahrens die Nichtigkeit des Vertrages aufgrund der Verletzung des Budgetrechts vor dem Verfassungsgerichtshof einfordern.

Für die Initiatoren des Volksbegehrens ergibt sich aus diesem Sachverhalt, dass „der Senat seine Vertragsverhandlungen mit RWE und VEOLIA für gescheitert erklären und gegen die Verträge gerichtlich vorgehen sollte“, so Rainer Heinrich, Vertrauensperson des Volksbegehrens.

Der juristische Leitfaden ist bereits gestern abend bei einer Veranstaltung der Tageszeitung taz Klaus Leder (Fraktionsvorsitzender der Partei DIE LINKE Berlin), Jürgen Esser, (haushaltspolitischer Sprecher von Bündnis 90 / Die Grünen) und Ellen Haußdorfer (stadtentwicklungspolitische Sprecherin der SPD) persönlich übergeben worden. Im Rahmen einer Gesprächsrunde, die von der Tageszeitung „Berliner Morgenpost“ veranstaltet wird, soll auch dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit der Argumentationsleitfaden heute persönlich übergeben werden. Auch den Geschäftsstellen der Fraktionen wie den Senatoren wird der Leitfaden heute zugestellt. Der juristische Leitfaden steht auch im Internet auf dem Portal der Wasserbürger allen Interessierten zur Verfügung. Sabine Finkenthei vom Arbeitskreis betont: „Niemand der politisch Verantwortlichen soll behaupten, es würde keine Wege der Vertragsanfechtung geben. Die Verträge sind die Geschäftsgrundlage der Teilprivatisierung. Wenn wir das Kapitel der Teilprivatisierung beenden wollen, dann müssen die Verträge aus der Welt geschaffen und nicht neu verhandelt werden!“

Auch die Podiumsteilnehmer Alexander Kraus (Vorsitzender Bund der Steuerzahler) und Dr. Lischke (Geschäftsführer der Verbraucherzentrale Berlin) begrüßen diesen Vorstoß des Arbeitskreises. Im Lauf der Pressekonferenz verwies Alexander Kraus auf eine aktuelle Untersuchung des Bunds der Steuerzahler in NRW, aus der ersichtlich wurde, dass die kalkulatorischen Kosten einen sehr hohen Anteil an den Wassertarifen ausmachen. Aus einem internen Positionspapier des Finanzsenators Dr. Nußbaum geht hervor, dass in Berlin die kalkulatorischen Kosten und kalkulatorischen Zinsen 44 % des Wasserpreises ausmachen. Daraus leitet sich die Schlussfolgerung ab, dass nicht nur die Verträge gerichtlich angefochten werden müssen, sondern auch die Tarifkalkulation von der neuen Landesregierung auf den Prüfstand gestellt werden muss. Die Einbeziehung der Verbraucherzentrale, des Bundes der Steuerzahler und des Deutschen Naturschutzringes in die Neuordnung der Berechnung der Wassertarife wäre empfehlenswert.

Rückfragen bitte an die Koordinatorin des Arbeitskreises Sabine Finkenthei
E-Mail: S.Finkenthei@gmx.de / Tel.: 030 / 693 08 43 / Mobil: 0176 / 25 21 37 26

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