Vom Hindukusch nach Kiew – Wo werden welche / wessen Werte wirklich verteidigt?

Vom Hindukusch nach Kiew
Wo werden welche / wessen Werte wirklich verteidigt?
Ukraine-Berichterstattung: Empathie als Grundlage zur Mobilmachung

In der Berichterstattung über den Krieg in der Ukraine geht es überwiegend um Erzeugung von Empathie. Kontextinformationen über die geo- und fiskalpolitischen Interessen der Akteure stehen nicht nur nicht im Vordergrund, sondern scheinen ganz offensichtlich unerwünscht. Wenn auf den Talkbühnen wie beispielsweise bei Markus Lanz die Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot den Versuch einer Kontextualisierung des Konflikts unternimmt, dann wird sie als empathieloses Ungeheuer gebrandmarkt. Wer sich nicht ans Herz fasst, Mitgefühl zeigt und Partei für Selensyk und seine Forderungen ergreift, der ist verloren. Um das Verstehen der Ursachen geht es in den Leitmedien nicht. Dabei ist ein rationales Verstehen von kriegerischen Auseinandersetzung immer die wichtigste Voraussetzung für die Entwicklung von Lösungen und die Beendigung kriegerischer Auseinandersetzungen.

Einen ausgezeichneten Ansatz zur Kontextanalyse liefert der Historiker Michael Hudson in einem Interview der Tageszeitung „junge welt“ vom 6.8. unter dem Titel „Die Sanktionen des Westens sind großartig für Russland„, auch weil hier die Systemunterschiede in den Finanzarchitekturen zwischen China und den USA und deren Bedeutung für den Wohnungsmarkt angedeutet werden. Die Lektüre des Interviews weckt garantiert Interesse an weiteren Publikationen von Michael Hudson.

Besonders dramatisch ist die mit der redundanten Berichterstattung verbundene Parteinahme für die ukrainische Staatsführung. Wurden früher die Werte der aufgeklärten westlichen Welt am Hindukusch verteidigt, so muss dieser Kampf jetzt in Kiew weiter fortgeführt werden. Doch wie ist es um die Werte in der Ukraine tatsächlich bestellt? Der Publizist Werner Rügemer hat in einem faktenreichen Artikel auf den Nach-Denk-Seiten dargestellt, welchen Wert die Arbeit in der Ukraine hat. Eine Lektüre, mit der sich nicht nur Marie-Luise Beck auseinandersetzen sollte.

Der Werte-Diskurs spielt auch bei der Osterweiterung der EU wie bei der NATO eine zentrale Rolle. Neben institutionalisierten Prinzipien wie Gewaltenteilung, freie Wahlen, Rechtsstaatlichkeit durch unabhängige Rechtsprechung, Mintbestimmung, Minderheitenschutz, Pressefreiheit und der Verankerung von Grundrechten wie Meinungs- und Religionsfreiheit ist jedoch die Frage von größerer Bedeutung, wie es um die Einstellungshaltungen der Menschen untereinander bestellt ist. Hier erhalten sozialpsychologische Untersuchungen ihre Bedeutung, wenn es beispielsweise darum geht, herauszufinden, wie es um Werte wie Solidarität, Selbststimmung, Disziplin, Kompromissfähigkeit, Toleranz, Gewaltbereitschaft und andere geht. Der österreichische Zeithistoriker Oliver Rathkolb hat mit seinen Studien zur „Neuen Autoritarismusforschung“ Pionierarbeit geleistet. Eine gute Übersicht vermittelt sein Artikel in der Beilage „Aus Politik und Zeitgeschichte“ aus dem Jahr 2011. Hier der Link zum PDF-Dokument. Auch wenn dieser Artikel aus dem Jahr 2011 stammt, so ist dieser sozialpsychologische Forschungsansatz nicht nur vor dem Hintergrund der Pläne zur EU-Osterweiterung hochaktuell, sondern auch für die Erklärung dessen, was hier zu Lande völlig verharmlosend unter dem Begriff „Rechtspopulismus“ thematisiert wird.

Zu einer fundierten Kontextanalyse gehört auch die Betrachtung des historischen Verlaufs der Beziehungen aller Konfliktbeteiligten. Mit seinem 3-teiligen Feature „Russland und der Westen“ vermittelt Andreas von Westphalen einen umfassenden Überblick. Diese Reihe wurde vom Deutschlandfunk im April ausgestrahlt und wird Interessierten im Audio-Archiv als Podcast angeboten.

Es ist beklagenswert, dass derartig fundierte Analysen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk Seltenheitswert haben. Statt umfassend zu informieren, scheint die unreflektierte Empathieerzeugung durch permanente Bilderfluten von Betroffenen und zerstörten Städten darauf abzuzielen, die deutsche Bevölkerung einer umfassenden, propagandistischen Mobilisierung zu unterziehen. Kurz: Die massenmediale Mobilmachung durch eine an Einseitigkeit nicht zu übertreffende Desinformation dient der Vorbereitung der nächsten Eskalationsstufe: Der Krieg mit Russland scheint das oberste Ziel nicht nur von Außenministerin Baerbock und ihren amerikanischen Strippenziehern zu sein. Freilich lautet die Frage heute nicht mehr: „Wollt ihr den totalen Krieg“, sondern „Wollen wir einen begrenzten Nuklearkrieg?“. Und leider sollte sich niemand sicher sein, ob die Zustimmung nicht genauso überwältigend ausfällt wie damals im Berliner Sportpalast – schließlich geht es heute nicht um die Ausrottung des Judentums, sondern um die rigorose Vernichtung des Kommunismus. Diese alten Krieger von einst haben längst die ausgestreute Saat geerntet und neue Führungskräfte herangezüchtet, die es vortrefflich verstehen, alte Gespenster zum Leben zu erwecken. Währenddessen nimmt der Klima“wandel“ bedrohliche Ausmaße an und Greta Thunberg ist genauso vergessen wie die Proteste von Instinction Rebellion oder der Kampf um den Kohleausstieg und das Ende der Atomkraftwerke. Die Antikommunisten als die Garanten einer marktkonformen Demokratie? Wohl kaum, aber die Immobilienbranche wird nach dem Endsieg über Russland (und China) gewiss alle Hände voll zu tun haben, wenn es darum geht, radioaktive Ruinen in prachtvolle Paläste zu verwandeln.

Ist Ihnen auch aufgefallen, dass die Drohung der russischen Regierung alle diplomatischen Beziehungen zu den USA abzubrechen, sollten in den USA die russischen Geldvermögen eingefroren werden, mit keinem Wort in den Nachrichtensendungen (Tagesthemem / heute journal) erwähnt wurde? So viel zum Ernst der aktuellen Lage.

USA RL

This entry was posted in Aktuelles, Lesenswertes, Uncategorized. Bookmark the permalink.

Comments are closed.