Sozialrassismus & Covid19: Mit Urlaubsfieber in den Urlaub fliegen – Über Hepa-Filter, Markus Lanz, Antikörper in Ischgl und die Kosten für Risikogruppen

Sozialrassismus & Covid19: Mit Urlaubsfieber in den Urlaub fliegen
Über Hepa-Filter, Markus Lanz, Antikörper in Ischgl und die Kosten für Risikogruppen
von Thomas Rudek (3. Update)

Zunächst das Allerwichtigste: Alles, aber wirklich alles wird gut, zwar nicht für alle, aber für die Meisten. Denn wie Birgit Spinath, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Psychologie, im Deutschlandfunk erklärt, bedarf es lediglich einer zielgruppenspezifischen Kommunikation, die frei von widersprüchlichen Informationen ist. Wenn dieser Ansatz befolgt wird, dann könne auch ein Gefühl von Sicherheit vermittelt werden.

Psychologie in Corona-Zeiten „Das Wichtigste ist ein Gefühl der Kontrolle“
https://www.deutschlandfunk.de/psychologie-in-corona-zeiten-das-wichtigste-ist-ein-gefuehl.676.de.html?dram:article_id=479256

Was die zielgruppenspezifische Kommunikation und das Bedürfnis nach Sicherheit für jene Urlauber betrifft, die ihre Traumdestination nur mit dem Flieger erreichen, hatte Markus Lanz den richtigen Kommunikationspartner eingeladen: Der Virologe Prof. Jonas Schmidt-Chanasit kennt sich offensichtlich aus (oder auch nicht), denn seine Behauptung, dass die Hepa-Filter in den Flugzeugen den Corona-Viren belasteten Aerosolen den Garaus machen und ihnen jede Chance der Verbreiterung nehmen, hält dem Faktencheck nicht stand: Hepa-Filter können Partikel bis zu 0,3 Mikrometer abfangen. Der Durchmesser von Sars-CoV-2 beträgt allerdings nur rund 0,1 Mikrometer, erklärt Erin Sorrell, Mikrobiologin vom Georgetown Center for Global Health Science and Security, gegenüber „Buzzfeed„. Aber was solls: Bei Markus Lanz, dem Superspreader in der Verbreitung von Fake News, geht es definitiv nicht um Wahrheit und erst recht nicht um die Darstellung wissenschaftlicher Fakten, sondern um Einschaltquoten, besser: um Einfaltquoten. Und für eins hat Markus Lanz das Gespür eines Jagdhundes: Er weiß was das Publikum braucht, was das Publikum will: Jenes Good-Feeling, jenes Gefühl, dass alles gut wird und dass alle sicher sind, im Flieger und im Urlaubsort. Da verbietet sich freilich der Hinweis, dass die zweite Welle in Peking über einen Fluggast ausgelöst worden sein soll (Quelle: Arte Journal). Ob diese Lanz-Sendung von der Lufthansa und anderen Airlines gesponsert wurde?

UPDATE-Info: Wer immer das Fliegen in Corona-Zeiten schön bzw. der Urlaubsindustrie das Wort redet, der sollte sich die Wissenschaftssendung „nano“ (3Sat) vom 3.7.2020 genau ansehen. In diesem 7-minütigem Beitrag werden die Sicherheits-Phrasen als Lügen entlarvt: https://www.3sat.de/wissen/nano/fliegen-trotz-corona-100.html

Sicherheit & Gesundheit, das sind zwei Begriffe, die wie siamesische Zwillinge untrennbar zusammen gehören. Doch das Gefühl, gesund zu sein, kann – DAS sollte durch Corona das gesellschaftlichen Bewußtsein gelernt haben – trügerisch und vor allem gefährlich sein. In der österreichischen Ski-Destination Ischgl, jenem Knotenpunkt, von dem die Infektionsverläufe in Europa ihren Ursprung nahmen, ist jetzt ein Großteil der Bevölkerung (80%) auf Corona-Antikörper getestet worden. Wie eine Forschergruppe der Medizinischen Universität Innsbruck unter der Leitung der Virologin Dorothee von Laer nun herausgefunden hat, haben von den aufwendig und zuverlässig getesteten Bewohnern 42,4% eine Covid19-Infektion hinter sich. Die Meisten der positiv Getesteten konnten sich nicht erinnern, ob sie leichte Symptome hatten. Was eben zählt, ist das persönliche Gefühl gesund zu sein, und nicht das Wissen, selbst als unwissender Gefährder und personifizierte Virenschleuder unterwegs zu sein.

Corona-Antikörperstudie: Für den Herdenschutz reicht es auch in Ischgl nicht. https://www.zeit.de/wissen/gesundheit/2020-06/corona-antikoerperstudie-ischgl-herdenimmunitaet-dunkelziffer/komplettansicht

Es erwischt ohnehin nicht jeden, sondern ohnehin nur die Alten und unter diesen vor allem die Ärmsten, wie eine leider noch nicht veröffentlichte Studie des Institut für Medizinische Soziologie des Uniklinikums Düsseldorf herausfand. Gemeinsam mit der AOK Rheinland/Hamburg sind die Daten von knapp 1,3 Millionen Versicherten ausgewertet worden. Das Ergebnis:

„Im Vergleich zu Erwerbstätigen in regulärer Beschäftigung ist das Risiko für ALG-II-Empfänger demnach um 84,1 Prozent erhöht, dass sie wegen Covid-19 ins Krankenhaus kommen.“ Wie eine Nachfrage ergab, betrifft dieses Risiko vor allem Menschen die im Grundsicherungsbezug stehen, also von Altersarmut betroffen sind.
Quelle: https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/corona-risiko-fuer-arbeitslose-in-deutschland-deutlich-hoeher,S1y6e7P

Trotz dieser Faktenlage verbreitet die Stimmungskanone Markus Lanz immer noch das Lügenmärchen, dass von Covid19 alle Menschen betroffen seien, es jeden und jede gleichermaßen treffen könne, egal ob reich oder arm, egal ob erwerbslos, prekär beschäftigt oder im Arbeitsleben stehend mit einem auskömmlichen Einkommen. Die oben erwähnte Studie aus Düsseldorf wie die Bilder aus New York, Brasilien und Großbritannien vermitteln eine andere Sicht auf die Pandemie. Aber wer will das Publikum schon mit Fakten zur statistischen Signifikanz behelligen, indem die sozio-ökonomische Klassifizierung der Corona-Toten dargestellt wird? Dieser Kenntnisstand bleibt den EXIT-Befürwortern exklusiv vorbehalten. Und man mag sich die Freude, wenn nicht gar die euphorische Stimmung vorstellen, mit der Christian Lindner (FDP), Armin Laschet (CDU), der Sozialeugenitiker Boris Palmer (Grüne) und der Marktextremist Michael Hüther voller Begeisterung die Ärmel hochgekrempelt haben, und die frohe Botschaft von der Aufhebung des Lockdown und gleichzeitig den finalen Knockdown für jene Risikogruppen verkündet haben, die sich nicht jeden Tag eine neue Billig-Maske leisten können, geschweige denn Desinfektionsmittel, andere Hygieneartikel oder gesunde, immunstärkende Nahrungsmittel und Nahrungsergänzungsmittel.

Auf Nummer sicher gehend, dass der sozialrassistische Knockdown seine volle Schlagkraft erhält, konnten sich die EXIT-Befürworter auch auf die verläßliche Unterstützung des Rechtsstaates verlassen. Entsprechend wurden neue Begehrlichkeiten wie die Kostenübernahme für Schutzmasken und Hygienartikel für Hartz IV Bezieher und Grundsicherungsbetroffene gerichtlich abgeschmettert. Die Richter des Sozialgericht Konstanz haben in der Begründung erkennen lassen, dass sie sich nicht in die Niederungen der Discounter begeben, sondern offensichtlich ihren Einkauf für den täglichen Bedarf von ihren Personal Shopper oder Ehepartnern erledigen lassen. Jedenfalls vertraten sie die Meinung, dass  keine belastbaren Informationen existieren, aus denen eine Verteuerung der Lebensmittel abgeleitet werden könne. Der Preissturz der Tönnies-Fleischberge war zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung noch nicht absehbar. Auch dass sich die Kosten der kulturellen Teilhabe enorm verteuert haben, leugneten die Richter. Im Gegenteil: In der Rechtsprechung wurde suggeriert, dass die Corona-Krise für Hartz IV Betroffene mit Einspar-Effekten verbunden sei, denn schließlich würden keine Kosten für Konzerte, Kinoeintrittskarten oder Gaststättenbesuche anfallen. Bei dieser Sicht könnte man fast zu der Schlußfolgerung gelangen, dass sich die Erwerbslosen glücklich schätzen sollten, dass es zu keiner Absenkung des Regelsatzes gekommen ist.

Doch hält diese Begründung einem Realitätscheck statt? Mitnichten! Während in Vor-Corona-Zeiten die Bibliotheken als Orte der kulturellen Teilhabe beispielsweise zum Studium der Zeitungen und der darin enthaltenen Stellenanzeigen genutzt werden konnten, blieb und bleibt auch weiterhin der Zugang zu diesem Teil der Bibliotheken (Auslage von Zeitungen und Zeitschriften) verwehrt. Wer sich also nicht nur über den Stellenmarkt sondern auch über den Stand der Dinge weiterhin informieren wollte, der muss tief in die Tasche greifen und die Ausgaben für Tages- und Wochenzeitungen vom knapp bemessenen Regelsatz bestreiten. Auch hinsichtlich der kulturellen Teilhabe fallen viel höhere Kosten an, zumindest für jene Erwerbslosen, die über keinen eigenen fahrbaren Untersatz in Form eines PKW verfügen. Wenn dieser Personenkreis am Kulturangebot, genauer: am Revival der Auto-Kinos teilhaben wollte, dann fielen nicht nur die Kosten für die Eintrittskarten zur Kinoleinwand an, sondern auch die Mietkosten für den PKW. Bleiben wir beim Auto: Wer aus Sorge um seine Arbeitsfähigkeit sich auch zur Sicherheit seines Arbeitgebers oder Fallmanagers testen lassen wollte, der war und ist gut beraten, sich nicht in die Schlangen in den Krankenhäusern einzureihen und sich dort einem erhöhten Infektionsrisiko auszusetzen, sondern statt dessen mit dem Auto den nächsten Corona-Drive-In anzusteuern. Im Auto sitzend unter laufender Klimaanlage kann – ohne das Auto verlassen zu müssen – der Test sicher unter Wahrung des Sicherheitsabstandes vorschriftsgemäß durchgeführt werden. Auch hier fallen Kosten an, die im Regelsatz nicht vorgesehen sind. Und da ein Test keine Garantie auf Ewigkeit verspricht, wäre es auch für die Vermittlungsfähigkeit auf dem Arbeitsmarkt wichtig, diesen Test mindestens in monatlichen Abständen zu wiederholen. In NWR sollen die Betreiber der Schlachthöfe ihre Mitarbeiter jetzt im 14-Tage-Rythmus testen!

Selbstverständlich sind diese Fakten sowohl den EXIT-Befürwortern wie den Vertretern der Rechtsprechung bekannt. Die Ausblendung dieser Kostenstellen wie die fadenscheinige Argumentation belegen, dass der Sozialrassismus als integraler Bestandteil eines elitären Pandemie-Managements verstanden werden muss, der mit Vorsatz auf die Auslöschung verarmter Bevölkerungsschichten setzt.

https://www.dgbrechtsschutz.de/recht/sozialrecht/arbeitslosigkeit/themen/beitrag/ansicht/arbeitslosigkeit/sozialgericht-konstanz-kein-mehrbedarf-bei-hartz-iv-wegen-corona/details/anzeige/
https://www.dgbrechtsschutz.de/fileadmin/media/Arbeitslos_Vorsicht/SG_Konstanz_vom_2.4.20.pdf

Sollten Sie diese Einschätzung für maßlos übertrieben halten, dann fragen Sie Ihren Ansprechpartner in Politik & Verwaltung, wie viele der 14.480 Pflegeheime und 14.050 ambulante Pflegedienste bereits vorsorglich getestet worden sind. Natürlich muss auch hier die Spreu vom Weizen getrennt werden, denn Sie können sicher sein: In Seniorenresidenzen der gehobenen Preisklasse werden die Testungen zu keinerlei Besorgnis führen. Und was die vorsorgliche Testung betrifft: Wußten Sie, dass die Frage, wer die Kosten für diese vorsorgliche Testung übernimmt, immer noch nicht juristisch verbindlich geklärt ist? Mit einer der Gründe, warum die Testkapazitäten in Deutschland bei weitem noch nicht einmal annähernd ausgelastet sind.

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