Lange hatte man nichts mehr von ihm gehört, dem „Psycho-Philosophen“ Peter Sloterdijk, der im ZDF am Sonntagabend 10 Jahre gemeinsam mit Rainer Safransky unter Einbeziehung zweier Zaungäste die Sendung „Das philosophische Quartett“ dominierte, um seine Sicht schwadronierend-geschwätzig dem Fernsehpublikum darzubiedern. Am Donnerstagabend war es dann wieder einmal soweit: Nicht im Fernsehen, aber im Deutschlandfunk wurde den Zuhörern in der Reihe „Zeitzeugen im Gespräch“ die Möglichkeit eröffnet, ein Glanzstück journalistisch-analytischer Darstellung durch eine einfühlsame wie strategisch-brillante Gesprächsführung wahrnehmen zu können. Der erfahrene Medien-Profi Rainer Burchardt überzeugte durch sein Interview, gelang es ihm nicht nur einen Einblick in die Gedankenwelt von Peter Solterdijk zu vermitteln, sondern auch die Beweggründe erahnen zu lassen, die den Intendanten des ZDF dazu bewogen haben, die Sendung „Das philosophische Quartett“ nicht weiter fortzuführen.
Im Rahmen der Aufarbeitung des Gesprächs unterteilte Rainer Burchardt das Interview in vier thematisch getrennte Einheiten: Dem persönlich-familiären Einstieg folgten Ausführungen über die Entwicklung der Demokratie in der deutschen Geschichte. Besonders aufschlussreich waren Sloterdijks Bemerkungen über die Schlüsselrolle der modernen Massenmedien für die neurotischen Erregungszustände unserer Gesellschaft (O-Ton 2:29 Min) wie seine Empfehlungen zur (lokalen) Terrorismusbekämpfung durch eine gezielte Nichtberichterstattung (O-Ton 4:55 Min.) bzw. eine mediale „Katastrophenquarantäne“. Sein historischer Vergleich mit der Schiffsquarantäne als Schutzvorkehrung vor den Erregern der Pest war dann die Steilvorlage für Rainer Burchardt, um zum Thema der „brennenden Migrationsfragen“ überzuleiten. Sloterdijk empfiehlt attraktiven westlichen Gesellschaften eine „wohltemperierte Grausamkeit“ (O-Ton 5:56 Min) gegenüber den „vökerungsARTigen Verschiebungen“, wobei bereits der Umstand, dass Sloterdijk die Frage, ob der Hitzegrad in abgefackelten Asylbewohnerheimen auch noch als „wohltemperierte Grausamkeit“ einzustufen ist, unbeantwortet ließ, für sich, aber nicht für Sloterdijk spricht.
Fazit: Für jemanden, der einerseits gerne historische Vergleiche bemüht und vor pseudo-psychologischen Übertragungsversuchen nicht zurückschreckt, andererseits es trotz oder gerade aufgrund dieser sprachgewaltig-verpackten Banalisierungen (des Bösen) verstanden hat, die mehr mentalen als intellektuellen Erregungszustände anzufeuern, ist es verwunderlich, dass der Blick vom professoralen Elfenbeinturm offensichtlich die Sicht auf die Niederungen differenzierender Analyse ausschließt. Gerade was die Ursachen der aktuellen Entwicklungen des Terrorismus betrifft, gibt es genügend fundierte wie substanzielle Analysen von kompetenten Persönlichkeiten wie dem verstorbenen Peter Scholl-Latour oder des Nahost-Experten Dr. Michael Lüders, die die fatalen Auswirkungen von westlichen geostrategischen Interessen im Nahen Osten aufgezeigt haben. Doch auch die Darstellung der deutschen Verantwortung muss solange als rückständig klassifiziert werden, solange die Entwicklungshilfe – jetzt schönrednerisch als Entwicklungszusammenarbeit (natürlich nicht auf gleicher Augenhöhe) umschrieben – durch profitable Geschäftsmodelle a la PPP (Public Private „Partnership“) pervertiert wird, um den Rückfluss der Mittel ins Herkunftsland zu sichern. Auch das vorsätzliche und politische gewollte prognostische Versagen über die zu erwartenden Migrationsbewegungen dienen nur der Reanimierung jener Kräfte, die nach den Erfahrungen des Nationalsozialismus in den Dämmerschlaf versetzt worden sind. Und wir dürfen gespannt sein, ob irgendwann durch „Euro-Leaks“ die neuen Wannsee-Protokolle bzw. Brüssel-Protokolle auftauchen werden, aus denen ersichtlich wird, wie das Migrationsproblem einer Endlösung zugeführt worden ist. Gewiss wird Herr Sloterdijk hierzu entsprechende Vorschläge zur psycho-philosophischen Vermarktung parat haben. Was an solchen sprachgewaltigen Wortführern am meisten zu denken gibt? Dass es genügend Personen gibt, die sich durch diese Brandstifter nicht nur angesprochen fühlen, sondern auch veranlasst sehen, den Worten Taten folgen zu lassen.
Rückblickend gesehen, war die Absetzung des philosophischen Quartetts überfällig. Ob mit David Precht ein qualitativer Neustart für ein anspruchsvolles Diskurs-Format eröffnet wurde? Die „ZDF-Nachtgespräche“ mit Volker Panzer waren in ihrem Erscheinungsbild insofern anders, als es dem Moderator weniger um die narzisstische Selbstdarstellung als um das Interesse an seinen Gästen ging. Würde sich die deutsche Talk-Republik auf einen solchen Moderationsstil rückbesinnen, dann wäre schon viel gewonnen.
Thomas Rudek
Interessengemeinschaft für Demokratie, Bürgerbeteiligung und Transparenz (IG DeBüT)