BND-NSA Skandal, Freihandelsabkommen und warum ein No-Spy Abkommen ins Leere läuft. Ein Diskussionspapier von Thomas Rudek

Die gegenwärtige Empörung sowohl über die Massenüberwachungen wie das gezielte Ausspähen von Führungskräften aus der Politik und Wirtschaft durch amerikanische Nachrichtendienste foschepoth kommentarbestätigt die Aktualität historischer Erkenntnisse!  Der Historiker Prof. Josef Foschepoth hat in einer fundierten Analyse von (jetzt zugänglichen) Rechtsquellen nachgewiesen, wie nicht nur in der Nachkriegsgeschichte das Post- und Fernmeldegeheimnis ohne Rechtsgrundlage gebrochen und entsprechend verfassungsrechtlich verbriefte Grundrechte vorsätzlich missachtet wurden, sondern wie diese Strukturen bis heute gepflegt und weiter entwickelt worden sind. Dass unter dem Deckmantel des amerikanischen Führungsanspruchs bei der internationalen Terrorismusbekämpfung jetzt auch im Zusammenhang mit den TTIP-Verhandlungen Wirtschaftsspionage betrieben wird, kann niemanden wirklich erstaunen. Gewiss stellt dieser Skandal nicht nur die „historische“ relevante Frage nach dem Unterschied zwischen der Stasi-Überwachung und der BRD, sondern vor allem die geostrategisch relevanten Fragen nach dem gegenwärtigen Souveränitäts-Status Deutschlands einerseits und nach den Auswirkungen auf die gegenwärtigen Verhandlungen zu den Freihandelsabkommen andererseits. Handlungsbedarf scheint von Nöten, soll dieser rechtsfreie Zustand überwunden werden (zu dieser Frage auch Elmar Theveßen, stellvertretender Chefredakteur des ZDF (O-Ton Theveßen 0:40 Min.). MI Thevessen Rechtsgrundlage Allerdings wäre ein No-Spy-Abkommen – selbst wenn es zustande kommen würde – wenig geeignet. Im Gegenteil: Es müsste befürchtet werden, dass durch ein voraussichtlich weich formuliertes Abkommen weder die bestehenden noch die zukünftigen geheimen Vereinbarungen außer Kraft gesetzt würden, zumal niemand über die Anzahl bereits getroffener Vereinbarungen verlässliche Aussagen treffen könnte! Ein entsprechendes Register mit einer Übersicht über Abschlüsse und Vereinbarungen existiert nicht. Das Ausmaß des Dunkels verdeutlicht der Historiker Foschepoth in seinem Buch „Überwachtes Deutschland“ am Beispiel der Neuregelung der so genannten »Verschlusssachenanweisung« (VSA) durch einen Beschluss des Bundeskabinetts vom 16. Sept. 2009, die VS-Akten bis 1994 schrittweise bis zum Jahr 2025 freizugeben. Und weiter: „Für Verschlusssachen, die ab 1995 erstellt wurden, galt bereits die auch in anderen Ländern übliche 30-Jahres-Frist“ (Foschepoth, S. 12). Dass selbst diese Verschlusssachenanweisung kaum geeignet ist, Licht ins Dunkel zu bringen, kann aus Foschepoths Einschätzung entnommen werden, der darauf hinweist:

„Diese Zahl dürfte sich noch um ein Vielfaches erhöhen, wenn die bislang streng geheim gehaltenen VS-Akten besonders sicherheitsrelevanter Institutionen wie des Bundesnachrichtendienstes (BND), des Bundesamtes für Verfassungsschutz. (BfV), des Bundeskriminalamts (BKA) oder des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) ebenfalls frei gegeben würden. Nimmt man hinzu, dass sich auch in Privatarchiven wie dem Bundeskanzler-Adenauer-Haus in Rhöndorf oder den Stiftungen der Parteien in Bonn und Gummersbach noch eine Fülle staatlicher VS-Akten befinden, die beim Ausscheiden wichtiger Politiker kurzerhand »entstaatlicht« und »privatisiert« wurden, dürfte der Umfang bislang nicht verfügbarer Akten nochmals weiter ansteigen. Hinzu kommt, dass sich natürlich auch in den Landesarchiven relevantes Quellenmaterial für die Geschichte der Bundesrepublik befindet. Eine Umfrage hat ergeben, dass die dort gelagerten VS-Akten weitere 1,3 Regalkilometer füllen“ (ebd. / Hervorhebungen durch Rudek).

Das gezielte Umgehen des Post- und Fernmeldegeheimnis war zurzeit des kalten Krieges Programm und dürfte auch in der heutigen Zeit allgemeiner Terror-Hysterie zum Alltagsgeschäft gehören. So formulierte Foschepoth schlussfolgernd:

„Die Erforschung der Post- und Fernmeldeüberwachung hat gezeigt, dass der Verstoß gegen Gesetz und Verfassung zum politischen Alltag der Exekutive gehörte. Bei der Suche nach Lösungen für ein bestimmtes politisches Problem stand sehr häufig nicht die Beachtung und Einhaltung der Norm, sondern die Suche nach einer juristisch geschickten und politisch verträglichen Umgehung der Norm im Vordergrund von Beratungen, Anweisungen und Richtlinien“ (Foschepoth, S.272 / Hervorhebungen Rudek).

Warum sollte sich an dieser Einstellungshaltung etwas geändert haben? Entsprechend naiv ist die Annahme, dass ein No-Spy-Abkommen etwas bewirken würde, zumal die deutsche Regierung auch abhängig vom Vertragspartner USA wäre.

Naheliegender und vor allem zielführender wäre ein klarer Schnitt durch ein „Gesetz zur Herstellung der Unabhängigkeit deutscher Nachrichtendienste und deren demokratischer Kontrolle“. Entscheidend wäre hierfür ein gesetzlicher Passus, der ähnlich wie beim Gesetzestext des Wasser-Volksentscheids, vorsieht, dass mit dem Inkrafttreten des Gesetzes alle Arten von bisherigen Vereinbarungen mit ausländischen Nachrichtendiensten ausnahmslos ihre Gültigkeit verlieren. Neue Vereinbarungen müssen rechtsstaatlichen Prinzipien (gerichtliche MI Paradies fur US SpioeGenehmigung sowie Begrenzung des Personenkreises und zeitliche Befristung) wie der demokratischen Kontrolle unterliegen. Genauso wichtig wäre die Verankerung eines Mitzeichnungsverfahrens unter Einbeziehung des Bundeskanzleramts und des parlamentarischen Kontrollausschusses. Um die Wirksamkeit in der Anwendung eines solchen Gesetzes auch innerhalb der Nachrichtendienste zu erhöhen, müsste auch vom Gesetzgeber sichergestellt werden, dass Verstöße gegen das Gesetz strafrechtlich genauso geahndet werden wie der in § 81 StGB kodifizierte Straftatbestand des Hochverrats. Auch der im Lauf der Maybrit Illner Talkshow „Paradies für US-Spione“ vom 30.4.2015 eingebrachte Vorschlag, in Analogie zu parMI Binningerlamentarischen Einrichtungen wie dem Wehrbeauftragten oder den Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit auch einen Beauftragten für Nachrichtendienste mit entsprechend ausgestattetem Unterbau (Personal und Befugnisse) ins Leben zu rufen, scheint vor dem Hintergrund der Überforderung des parlamentarischen Kontrollausschusses zweckdienlich. Die Überforderung gestand Clemens Billinger (CDU, Leiter des Kontrollausschusses im Bundestag) selbstkritisch ein (O-Ton Billinger 0:37 Min.). Freilich ist die Voraussetzungen für die Realisierung der skizzierten gesetzgeberischen Schritte nicht gegeben: Deutschland müßte in Fragen nachrichtendienstlicher Aktivitäten souverän agieren können, wozu Deutschland nach Aussagen des ehemaligen Leiters des Österreichischen Verfassungsschutzes, Gert R. Polli, nicht in der Lage ist: „Deutschland war ein besetztes Land, und was die Aktivitäten der Alliierten Nachrichtendienste auf deutschen Boden anbelangt, ist es das noch immer“  (Interview Deutsche Wirtschafts Nachrichten  v. 14.06.15). Vielleicht sollten sich nicht nur die politisch Verantwortlichen an einen „der Grundsätze nachrichtendienstlicher Zusammenarbeit“ erinnern: „Es gibt keine befreundeten Dienste sondern nur temporäre gemeinsame Interessen. Dies gilt eingeschränkt auch für die Politik. Einer solchen Politik obliegt es, Wirtschaft und Bürger vor den Begehrlichkeiten ausländischer Dienste im eigenen Land zu schützen, ohne gleichzeitig Bündnispartnerschaften grundsätzlich hinterfragen zu müssen. Totschweigen oder Aussitzen dieser Themen scheint mir der am wenigsten erfolgversprechendste Weg zu sein“ (Poli).

Statt der Öffentlichkeit mit der gegenwärtigen Diskussion um ein NMI Eenboomo-Spy-Abkommen Sand in die Augen zu streuen, sollten glaubhafte Schritte unternommen werden, um die Souveränität Deutschlands herzustellen und das Agieren deutscher Nachrichtendienste im Rahmen der  freiheitlich-demokratischen Grundordnung verbindlich zu verankern. Rücksichtnahme auf „befreundete“ Bündnispartner haben gerade vor dem Hintergrund der stiefmütterlichen Behandlung Deutschlands durch diese Bündnispartner bzw. „Five-Eyes“ (O-Ton Schmidt-Eenboom 2:39 Min.) nichts verloren, wie der Geheimdienst-Kenner Schmidt-Eenboom überzeugend darlegte. Damit allein ist es allerdings nicht getan. In der erwähnten Maybrit Illner Sendung wurde von verschiedenen Diskutanten mehrmals die Bedeutung der Wirtschaftsspionage nicht nur in Verbindung mit den gegenwärtigen Freihandelsabkommen herausgestellt (so beispielsweise Theveßen O-Ton 1:43 Min.). Auch ist es Sarah Wagenknecht (Die LINKE) zu verdanken, die in diesem Zusammenhang nicht nur TTIP, sondern das viel bedeutendere Dienstleistungsabkommen TISA erwähnt hat (O-Ton Sarah Wagenknecht 0:33 Min / siehe zu TISA auch die Artikel von Andreas Zumach in der taz). Da davon auszugehen ist, dass die amerikanischen Verhandlungsführer durch die gezielte MI WagenknechtWirtschaftsspionage gegenüber ihren europäischen Kontrahenten einen Informationsvorsprung und somit einen strategischen relevanten Verhandlungsvorteil haben, sollte die deutsche Regierung die ans Tageslicht gekommenen Ereignisse nutzen und schleunigst auf die Bremse treten, indem sie einen Referendumsvorbehalt einfordert, auch um der zunehmenden zivilgesellschaftlichen Kritik zu entsprechen.

Eine solche Forderung nach einem europaweiten Abstimmungsreferendum im Fall von Freihandelsabkommen ist letztendlich in seinem inhaltlichen Gehalt viel weitgehender und tiefgreifender als der von gesellschaftlichen Protestgruppen geforderte Stopp der TTIP-Verhandlungen. Vor allem wäre Zeit gewonnen, denn das Instrument eines Abstimmungsreferendums für Freihandelsabkommen ist europarechtlich nicht vorgesehen und müsste daher erst verankert werden. Das Argument der Eilbedürftigkeit mag auch schon deshalb nicht überzeugen, da die TTIP- und TISA-Verhandlungen bereits seit mehreren Jahren geführt werden. Entscheidend ist jedoch das Argument der tiefgreifenden und langfristigen Auswirkungen derartiger Freihandelsabkommen: Sowohl das Europäische Parlament, wie der Ministerrat und die Kommission haben in ihrer aktuellen Zusammensetzung lediglich für eine Legislaturperiode die demokratische Legitimation, Entscheidungen zu treffen. Da diese Entscheidungen jedoch in ihren langfristigen Konsequenzen irreversibel sind, erscheint es vor allem aus demokratischer wie rechtsstaatlicher Perspektive zwingend geboten, die unter fragwürdigen Bedingungen ausgehandelten Verträge 1. vollständig zu veröffentlichen, 2. über den Zeitraum von mindestens einem Jahr öffentlich zur Diskussion zu stellen und 3. dann über die Verträge alle Europäer abstimmen zu lassen, statt diese fundamentale Systementscheidung in den Händen einer ausspionierten politischen Elite zu lassen, die für mögliche negative Folgen weder strafrechtlich noch anderweitig zur Verantwortung gezogen werden kann!

In Anbetracht der Bedeutung von Freihandelsabkommen wäre die Zivilgesellschaft gut beraten, all ihre Sinne zu schärfen und ihre Aufmerksamkeit nicht nur auf die TTIP-Verhandlungen zu fokussieren, sondern auch auf TISA auszuweiten – schließlich soll in diesem „Dienstleistungsabkommen“ Bürgervorhaben wie Rekommunalisierungsprojekte durch Volksentscheide der Riegel vorgeschoben werden, indem erfolgte Privatisierungen für immer und ewig festgeschrieben und für unanfechtbar erklärt werden sollen. Es wäre ein Armutszeugnis für die Zivil- und Protestgesellschaft, wenn das TISA-Abkommen quasi im Schatten von TTIP still und heimlich durchgesetzt wird. Aufgrund der Eigendynamik wie dem betriebenen Aufwand der Verhandlungen zu den Freihandelsabkommen wird es nicht gelingen, die in Gang gesetzten Prozesse zu stoppen. Gerade vor dem Hintergrund dieser Eigendynamik der Apparatur sollte das letzte Wort und die finale Entscheidung bei so weitreichenden Abkommen allen europäischen Bürgern durch ein europäisches Referendum vorbehalten sein.

Thomas Rudek
(Interessengemeinschaft für nachhaltige Bürgerbeteiligung, Demokratie & Transparenz in öffentlich-rechtlichen Medien – IG BüDeT)

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