23.10.2013, TV-Hinweise: Statt grundwassergefährdende Biogasanlagen „Urban Farming“ ?

Kommentar Wasserbürger: Es ist hinlänglich bekannt, dass die Landwirtschaft der größte Wasserverbraucher ist. Weniger bekannt ist, dass bei der landwirtschaftlichen Bewirtschaftung großer Flächen Schadstoffeinträge durch Überdüngung das Grundwasser belasten. In einer Plusminus-Reportage (ARD) wurde nachgewiesen, dass auch „bundesweit… der Nitratgehalt an vielen Messstellen über dem Grenzwert“ liegt. Das Grundwasser ist in einen schlechtem Zustand!

„60 Prozent des Grundwassers in Niedersachsen sind stark mit Nitrat belastet, teilt das Landwirtschaftsministerium Niedersachsen auf Anfrage von Plusminus mit.  Um in Landkreisen mit hoher Viehdichte wie Cloppenburg oder Vechta Gülle und Kot ordnungsgemäß auf die Felder auszubringen, benötige man teilweise das Zwei- bis Dreifache der Fläche.  Mehr als die Hälfte der anfallenden Gülle müsse in andere Landesteile verbracht werden. Geschieht das nicht, kommt es zu einer Überdüngung und damit zu einer hohen Nitratbelastung des Grundwassers. In einer aktuellen Pressemitteilung teilt die EU-Kommission mit, dass die Wasserqualität in Deutschland und Malta am schlechtesten sei.“ (Link zur Reportage Biogasanlagen gefährden Grundwasser.)

Es mag ein Wink mit dem Zaunpfahl sein, dass am gleichen Tag auf 3Sat im Wissenschaftsmagazin „nano“ der Bericht „Anbau ohne Erde – „Urban Farming“ erobert die Metropolen der Welt“ ausgestrahlt wurde. Kürzlich verwies im dlr der Lebensmittelexperte Udo Pollmer in seinem Beitrag auf die Vorzüge dieser neuen Anbaumethode aus Japan:

Gemüse aus Käfighaltung

Eine neue Anbaumethode aus Japan könnte die Landwirtschaft revolutionieren

Von Udo Pollmer

25.000 Salatköpfe pro Tag, keine Pestizide und dazu noch absolut hygienisch: In Japan liefern neuartige Pflanzenfabriken gigantische Erträge. In Zukunft könnten diese Super-Treibhäuser den Gemüseanbau im Freiland verdrängen.

 

Die Aussichten sind offenbar gigantisch: In Japan haben die ersten Pflanzenfabriken erfolgreich den Betrieb aufgenommen. Pflanzenfabriken sind neuartige Treibhäuser – die nicht etwa nur die doppelte oder dreifache Ernte gegenüber dem Freiland liefern. Nein, die Erträge in der Pflanzenfabrik liegen 100 Mal höher. Für das gebirgige Japan ist das besonders erfreulich, denn es mangelt an Ackerland.

In diesen Anlagen wird das Gemüse in bis zu 20 Etagen, die jeweils etwa 40 cm hoch sind, in einer Nährlösung gezogen. Ein wenig erinnert das Prinzip an die Käfighaltung bei Hühnern. Erdelose Kulturen sind auch in Europa verbreitet – die Salatwurzeln stecken in einem unverwüstlichen und recycelfähigen Material wie Steinwolle und werden von der Düngelösung umströmt. Das Wasser kann im Kreislauf geführt und wiederaufbereitet werden. Der Wasserbedarf ist in einer Pflanzenfabrik um 90 Prozent geringer als im Freiland, denn dort wird Gemüse in der Regel künstlich bewässert.

Keine Krankheiten, keine Schädlinge

Im Gegensatz zum üblichen Treibhaus handelt es sich hier um ein luftdicht isoliertes System. Somit lässt sich denn auch der Kohlendioxidgehalt der Luft um das Vier- bis Fünffache anheben. Das wiederum fördert das Wachstum des Gemüses ungemein. Die hermetische Isolation verhindert, dass Pflanzenkrankheiten oder Schädlinge eindringen können. Deshalb kann auf Pestizide verzichtet werden. In Sachen Ökologie stellt das neue System den Bio-Anbau in den Schatten.

Entscheidend für den wirtschaftlichen Erfolg sind die Lampen, die in jeder der 20 Etagen für eine gleichmäßige Beleuchtung sorgen. Am besten eignen sich dafür die noch relativ teuren LED-Leuchten. Derzeit liegt die Lichtausbeute bei knapp 30 Prozent der eingesetzten Energie – es heißt, in den Forschungslabors sei man bereits bei über 50 Prozent. Wenn diese Lampen in Serie gehen, dürfte die Wettbewerbsfähigkeit der klassischen Gärtnerei unter Druck geraten.

Einige der inzwischen über 100 japanischen Pflanzenfabriken liefern täglich 25.000 Salatköpfe. Die Abnehmer sind nicht Supermärkte, sondern vor allem Einrichtungen wie Alters- und Pflegeheime, die peinlichst auf die Hygiene zu achten haben – Blattgemüse vom Feld oder aus „Bodenhaltung“, wie manchmal gespottet wird, sind für jeden Hygienebeauftragten ein Alptraum, vor allem wenn sie roh serviert werden sollen. Das Gemüse aus der Pflanzenfabrik ist garantiert hygienisch. Es enthält nach der Ernte viel weniger Keime als handelsübliches Gemüse selbst nach gründlichem Waschen.

Bezahlbar, hygienisch, regional

Um jeden Bürger einer Großstadt wie Bonn täglich mit 200 Gramm Salat oder Erdbeeren zu versorgen, genügt eine Anlage mit einer Grundfläche von weniger als 200 mal 200 Metern – für die ganze Stadt. In großen Ballungsräumen ist damit eine regionale Versorgung möglich. Inzwischen wird an Kleinstanlagen fürs Wohnzimmer herumgezimmert, weil der Platzbedarf gering ist. Pro Person reicht ein Gerät von der Größe einer Gefrierkombination. Damit bekommt die Gesellschaft endlich, was sie sich so sehr ersehnt hat: Blattgemüse, das eine anständige Ökobilanz hat, weil es keine Flächen bindet, das nur wenig Trinkwasser benötigt, das praktisch ohne Pestizide heranwächst, das aus regionaler Produktion täglich taufrisch zur Verfügung steht, das absolut hygienisch ist und außerdem bezahlbar.

Die Technologie ist nicht nur für städtische Ballungszentren interessant, für die sie ursprünglich entwickelt wurde – um Frischgemüse außerhalb der Erntezeit nicht um die halbe Welt zu den Kunden transportieren zu müssen. Damit lässt sich unabhängig von den Bodenverhältnissen oder den klimatischen Bedingungen Gemüse erzeugen – beispielsweise in der Wüste. Und wenn wir noch etwas weiter in die Zukunft blicken, werden die „Pflanzen aus Käfighaltung“ den Gemüseanbau im Freiland Schritt für Schritt verdrängen. Mahlzeit!

Literatur:
Noga GJ: From vision to reality: Horticulture at the forefront of innovation. Chronica Horticulturae 2012; 52 (4): 3-4
Chiba University: International Meeting of Plant Factory 30. Nov. 2012. Kongreß-Präsentationen
Shimizu H et al: Light environment optimization for lettuce growth in plant factory. 18th IFAC World Congress Milano 2011; S. 605-609
Wakahara T, Mikami S: Adaptive nutrient water supply control of plant factory system by reinforcement learning. Journal of Advanced Computational Intelligence 2011: 15: 831-832
Kozai T: Plant factory in Japan – current situation and perspectives. Chronica Horticulturae 2013; 53 (2): 7-11
Lee SW: A plant factory for the middle eastern environment. Gyeonggi Province Agricultural
Research & Extension Services, Präsentation vom 13. März 2013

 

 

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