Zum Antwortschreiben von Finanzsenator Nußbaum (PDF)
Berlin, d. 30.5.2012. Anläßlich des heutigen Termins beim Landgericht Berlin, wo der Einspruch von Veolia gegen den Verkauf der RWE-Anteile an das Land Berlin verhandelt wird, haben die Wasserbürger gemeinsam mit dem Verband Deutscher Grundstücksnutzer (VDGN), dem Bund der Steuerzahler Berlin und dem Umweltverband GRÜNE LIGA Berlin unter Mitwirkung des Arbeitskreises unabhängiger Juristen (AKJ) dem Finanzsenator einen offenen Brief mit folgendem Inhalt geschrieben:
Offener Brief zu den Rückkaufverhandlungen der Anteile von RWE an der Berlinwasser Holding AG zwischen dem Land Berlin und dem privaten Anteilseigner RWE
Berlin, 30.05.2012
An
Finanzsenator Ulrich Nußbaum
Senatsverwaltung für Finanzen
Klosterstraße 59
10179 Berlin
Sehr geehrter Herr Senator Nußbaum,
mit großer Verwunderung müssen wir den Berichten der Tagespresse entnehmen, dass Sie die Verhandlungen mit RWE Aqua GmbH, dem privaten Anteilseigner an der Berlinwasser Holding AG, über einen Rückkauf der Anteil zu einem Abschluss führen wollen, bevor der Prüfauftrag des ersten Volksgesetzes in Berlin abgeschlossen worden ist.
Bitte erlauben Sie uns, Ihnen die im Gesetzestext verankerte Zielsetzung des Volksgesetzes in Erinnerung zu rufen. Die gesetzliche Offenlegungspflicht der Teilprivatisierungsverträge, Beschlüsse und Nebenabreden, die im Zusammenhang mit der Teilprivatisierung vereinbart worden sind, ist eng verbunden mit einem Prüfauftrag der offen gelegten Dokumente. Im Gesetzestext ist explizit vorgesehen, dass die Verträge einer eingehenden Prüfung durch das Abgeordnetenhaus Berlin unterzogen werden müssen. Zu diesem Zweck wurde ein Sonderausschuss eingerichtet, der seit Januar dieses Jahres seine Arbeit aufgenommen hat und bis zum Jahresende seinen gesetzlichen Prüfauftrag erfüllen will.
Aus der Tatsache, dass sich die Veröffentlichung der Vertragsdokumente nicht auf einen speziellen Personenkreis beschränkt, leitet sich des Weiteren ab, dass nicht nur das Abgeordnetenhaus sondern auch die Zivilgesellschaft aufgefordert ist, sich des Prüfauftrags anzunehmen. So hat sich unmittelbar nach dem Volksentscheid der „Arbeitskreis unabhängiger Juristen“ unter dem Dach des Umweltverbandes GRÜNE LIGA Berlin e.V. gegründet., Der Arbeitskreis hat in enger Zusammenarbeit mit der Antikorruptionsorganisation Transparency International Deutschland und der Verbraucherzentrale Berlin gegenüber der Europäischen Kommission ein Beschwerdeverfahren wegen Verstoßes gegen das europäische Beilhilfe- wie Vergaberechts initiiert, das die Kommission unterdessen veranlasst hat, ein Vorprüfungsverfahren einzuleiten. Auch ist von dem Arbeitskreis ein juristischer Leitfaden erarbeitet worden, indem dargelegt wird, wie die Verträge mit einer Organklage durch Parlamentarier des Abgeordnetenhauses gerichtlich angefochten werden könnten.
Wir weisen auf die Möglichkeiten zur Vertragsanfechtung an dieser Stelle so ausdrücklich hin, da wir davon überzeugt sind, dass erst die gerichtliche Vertragsanfechtung die Voraussetzung liefert, um eine vorteilhafte Ausgangsposition für eine kostengünstige Rekommunalisierung zu erreichen, für das Land Berlin, den Haushalt und die Berliner Verbraucher. Ohne die Ergebnisse der Überprüfung und gegebenenfalls einzuleitender gerichtlicher Verfahren abzuwarten, würden Sie sich der Gefahr aussetzen, dass Ihnen gegenüber der Vorwurf von „Geldgeschenken“ an Großunternehmen, die im Schnellschussverfahren verfeuert werden, erhoben werden könnten.
Sie werden daher unsere Verwunderung verstehen, wenn wir aus der Presse entnehmen, dass die Verhandlungen um einen Rückkauf der RWE-Anteile kurz vor dem Abschluss stehen, ohne dass zuvor entscheidende Schritte zur Vertragsprüfung und Vertragsanfechtung vollzogen wurden. Daher erlauben Sie uns bitte folgende Nachfragen:
1. Wer hat die Verhandlungen über den Rückkauf der RWE-Anteile initiiert? Ist RWE an Sie herangetreten? Ist es Ihnen möglich, uns Ihre persönliche Einschätzung über die Beweggründe von RWE mitzuteilen?
2. Gab es einen zeitlich begrenzten Rahmen für die Verhandlungen über den Rückkauf der RWE-Anteile? Wenn ja, wer hat diesen Rahmen festgesetzt und welche Gründe waren für die Eilbedürftigkeit maßgebend?
3. Konnten Sie sicherstellen, dass RWE auch als ehemaliger Vertragspartner im Fall einer erfolgreichen Nichtigkeits- oder Teilnichtigkeitsklage für Regress- bzw. Rückforderungsansprüche in Haftung genommen werden kann bzw. von derartigen Forderungen NICHT freigestellt wird?
4. Vor dem Hintergrund des Volksgesetzes und des novellierten Informationsfreiheitsgesetzes ergeben sich erhöhte Transparenzforderungen an das Regierungshandeln des Senats. Wann beabsichtigen Sie, die Unterlagen zu den Rückkaufverhandlungen wie die vertraglichen Unterlagen zu veröffentlichen?
5. Es ist der erklärte politische Wille des Senats und des Abgeordnetenhauses, den Einfluss auf die Berliner Wasserbetriebe zurück zu gewinnen bzw. zu stärken. Können Sie zum jetzigen Zeitpunkt ausschließen, dass zusätzliche Anteile an den anderen privaten Anteilseigner Veolia übertragen bzw. verkauft werden oder andere Vereinbarungen getroffen werden, die Veolia es ermöglichen, die Sperrminorität zu erreichen?
6. Wie sieht die Kosten- und Nutzenrelation für das Land Berlin aus?
7. Wie erfolgte die Ermittlung des Kaufpreises? Bitte teilen Sie uns hierzu alle wesentlichen Berechnungsgrundlagen und -parameter mit.
8. Wie sind jene Vertragsklauseln abgefasst worden, die eine Anpassung des Kaufpreises nach Wirksamkeit des Kaufvertrages ermöglichen sollen?
Wir wären Ihnen sehr verbunden, wenn Sie uns im Sinne einer sachgerechten Darstellung der von uns aufgeworfenen Fragen Ihre Antworten noch vor der Vertragsunterzeichnung mit RWE zukommen lassen könnten und auf diese Weise auch dem von mehr als 660.000 Berlinerinnen und Berlinern zum Ausdruck gebrachten Votum des Volksentscheids entsprechen.
Mit freundlichen Grüßen
Thomas Rudek (Berliner Wasserbürger)
Peter Ohm (Verband Deutscher Gurndstücksnutzer e.V.)
Alexander Kraus (Bund der Steuerzahler Berlin e.V.)
Stefan Richter (GRÜNE LIGA Berlin e.V.)
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