Elisabeth Wehling und der Shitstorm gegen das ARD-Framing-Gutachten – Gerechtfertigt, überzogen oder komplett daneben?

Auszug: Elisabeth Wehling und der Shitstorm gegen ihr ARD-Framing-Gutachten
Gerechtfertigt, überzogen oder komplett daneben?

Seit Gustav Le Bon´s elitärer Abhandlung über die „Psychologie der Massen“, verfasst zu Beginn des letzten Jahrhunderts, ist die Bedeutung der Sprache als Herrschafts- und Steuerungsinstrument bekannt1.Und auch der öffentlich-rechtliche Sender ARTE hat dem Massenpublikum mit dem Dokumentarfilm „Edward Bernays und die Wissenschaft der Meinungsmache“ die Wirkungsmacht der Propaganda und der Public Relations im vergangenen Jahr beeindruckend aufzeigen können2.

Im Vergleich zu diesen Erklärungsversuchen, wie fundamental die Meinungs- und Medienindustrie unser Denken als Konsumenten und Bürger tagaus, tagein in Beschlag nimmt, schlug das von der Kognitionswissenschaftlerin Elisabeth Wehling im Jahr 2016 vorgestellte Buch „Politisches Framing“ ein wie eine Bombe.

Wehling betonte nicht nur die zentrale Bedeutung sogenannter Sprachbilder oder „gedankliche Deutungsrahmen“3 (Frames) anhand von aktuellen Beispielen aus der deutschsprachigen Politdebatte (von der ungebremsten Wachstumsfixierung über Rettungsschirme für Banken, Flüchtlings“welle“, Klima“wandel“, Erd“erwärmung“, Steuer“befreiung“, Steuer“oasen“, Steuer“flucht“, Mindestlohn, Lohnuntergrenze, „Unter“schicht“, Humankapital etc.). Sie hat auch kritisch herausstellen können, wie sich diese Sprachbilder auf unsere Einstellungshaltungen und Sichtweisen verheerend auswirken4 / 5. Positiv beeindruckend ist auch die in dem ersten Teil ihres Buches unternommene, leicht verständliche Einführung in die wissenschaftlichen Grundlagen ihres Forschungsbereiches und wie sie die hohe Anfälligkeit für sprachliche Manipulationstechniken nachweist6. Überraschend ist auch ihre Einschätzung, wer besonders betroffen ist: Vor allem „Menschen mit umfassenden politischen Kenntnissen“ seien „anfälliger als diejenigen unter uns, die wenig über Politik nachdenken und wenig über die Details politischer Angelegenheiten informiert sind“ (Wehling, S.51).7

Als jetzt auf der Internetplattform netzpolitik.org ein sogenanntes „Framing-Gutachten“ veröffentlicht wurde, das Elisabeth Wehling im Rahmen einer Zusammenarbeit für die ARD erstellt hat, fielen die Reaktionen nicht nur äußerst negativ aus, sondern es wurde ein regelrechter Shitstorm gegen Elisabeth Wehling inszeniert, der gerade vor dem Hintergrund ihrer Publikation über „Politisches Framing“ unverhältnismäßig und völlig überzogen erscheint8. Gewiss: In ihrer lesenswerten Publikation trat sie als kritische, unabhängige, analytische Wissenschaftlerin in Erscheinung, während sie für die ARD als auftragsabhängige Beraterin tätig war, die die von ihr analysierten (Manipulations)Techniken jetzt nicht analytisch entlarvte, sondern nun zur kundenbezogenen Anwendung brachte.

Betrachtet man jedoch die Kritik, dann fällt vor allem auf, dass sich diese ausgerechnet am öffentlich-rechtlichen „Staatsfunk“ entzündet, aber die Manipulationstechniken der privatwirtschaftlich-kommerziellen Medienanbieter und ihrer „Journalisten“, Redakteure und Programmmacher unerwähnt bleiben!9 Schade, dass die Betreiber von netzpolitik.org sich dieser manipulativen Machenschaften nicht annehmen…

Zum vollständigen Artikel im PDF-Format hier  (3. Update 21.3.2019)

1Hinsichtlich der „Überredungsmittel der Führer“ betont Le Bon bereits 1911: „Vor allem muß er den bezaubernden Einfluß der Worte, Redewendungen und Bilder kennen. Er muß eine besondere Beredsamkeit besitzen, die aus energischen Behauptungen, die nicht zu beweisen sind, und eindrucksvollen, von ganz bestimmten Urteilen umrahmten Bildern zusammengesetzt ist“ (Le Bon, Psychologie der Massen, 1982, S.141). Amüsant sind auch seine Ausführungen über „große Revolutionsredner“ (S. 143f.).

2https://programm.ard.de/TV/arte/edward-bernays-und-die-wissenschaft-der-meinungsmache/eid_28724688997427

3Dieser von Wehling selbst gewählte Übersetzungsversuch verleitet zu der falschen Annahme, dass der gedankliche Deutungsrahmen als ein bewusster Wahrnehmungsprozess zu verstehen ist. Wie sie jedoch in dem ersten Teil ihrer Publikation unmissverständlich darlegt, wirken die Frames unbewusst und sind gerade deshalb in ihrer tiefenpsychologischen Wirkung besonders gefährlich.

4Elisabeth Wehling vermittelt nicht nur eine Einführung in die Grundlagen des politischen Framing, sondern zeigt speziell an den deutschsprachigen Politikdebatten über Steuern (Steuerzahler versus Steuerbeitrag, Steuerlast, Steuerbefreiung, Steuerflucht, Steuerschlupfloch, Steueroase), Sozialleistungen (Leistungsträger), Arbeit, Abtreibung (Schwangerschaftsabbruch), Zuwanderung (Flüchtlingsstrom), Islamfeindlichkeit und Terrorismus sowie Umwelt (erneuerbare Energien) hochgradig manipulative Gefährdungslagen auf, weil „Kernbegriffe… Frames aktivieren, die im krassen Gegensatz zu unserer Gesetzes- und Rechtslage, und damit unserem Common Sense, stehen oder zumindest davon abweichen. Und wieder andere, weil sie unstrittige Fakten kognitiv kaschieren oder falsch wiedergeben“ (Wehling, Politisches Framing, S.83).

5Auch hierzu bereits Le Bon in „Psychologie der Massen“: „Die Macht der Worte ist mit den Bildern verbunden, die sie hervorrufen, und völlig unabhängig von ihrer wahren Bedeutung“ sind „So z.B. die Ausdrücke, Demokratie, Sozialismus, Gleichheit, Freiheit u.a., deren Sinn so unbestimmt ist, daß dicke Bände nicht ausreichen, ihn festzustellen. Und doch knüpft sich eine wahrhaft magische Macht an ihre kurzen Silben, als ob sie die Lösung aller Fragen enthielten… Mit bestimmten Worten verbinden sich zeitweilig bestimmte Bilder: das Wort ist nur der Klingelknopf, der sie hervorruft“ (Le Bon, S.71).

6„Frames, nicht Fakten, bedingen unser Entscheidungsverhalten“ unter Hinweis auf den Nobelpreisträger Daniel Kahnemman und andere namhafte Kognitionswissenschaftler (Marvin Minsky) (Wehling, S. 45ff).

7Die herausragende Bedeutung dieser Veröffentlichung wird deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass es heute stärker als zuvor um den „Krieg um die Köpfe“ geht (so auch der Titel des Jahreskongresses der Neuen Gesellschaft für Psychologie im Jahr 2015). Der Konservative Kurt Biedenkopf betonte bereits 1973: „Wir erleben heute eine Revolution, die sich nicht der Besetzung der Produktionsmittel, sondern der Besetzung der Begriffe bedient. Sie besetzt Begriffe und damit die Information in der freien Gesellschaft, indem sie die Medien besetzt, die Stätten also, in denen das wichtigste Produkt einer Freiheit hergestellt wird: die politische Information.“

8Statt vieler „Debatte um Gutachten der ARD. Anleitung zum Framing?“ vom 18.02.2019 im Deutschlandfunk unter https://www.deutschlandfunk.de/debatte-um-gutachten-der-ard-anleitung-zum-framing.2907.de.html?dram:article_id=441347

9Dass diese „Schieflage“ in der Wahrnehmung entstanden ist bzw. entstehen sollte, ist auch auf die verschiedenen Finanzierungsmodelle zurückzuführen: Während das öffentlich-rechtliche Mediensystem überwiegend durch die GEZ finanziert wird, sieht das bei den privaten Medienkonzernen anders aus. Sie generieren ihr ökonomisches Fundament hauptsächlich aus Einnahmen der Werbeindustrie

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