Beim Wort genommen: Andreas Weber im Gespräch zur Programmreform des Deutschlandradios – Eine nachträgliche Betrachtung der Sendung vom 12.7.2014 mit O-Tönen

Beim Wort genommen: Andreas Weber im Gespräch zur Programmreform des Deutschlandradios – Eine nachträgliche Betrachtung der Sendung vom 12.7.2014 mit O-Tönen

Am 12. Juli verteidigte Programmchef Andreas Weber die umstrittene Programmreform seines Senders und stellte sich den Fragen der Hörer. Moderiert wurde die Sendung von Gisela Steinhauer. Die Streichung der 2254-Nachtgespräche wurde von mehreren Anrufern beklagt. Siegmar Hemsing aus Stuttgart gelang es, auf die Petition rettet2254.info hinzuweisen.

Auch Herr Sierb aus Köln beklagte nicht nur die Tendenz zum „Dudelfunk“, sondern stellte auch heraus, dass Facebook und Twitter kein Ersatz für die Nachtgespräche darstellt. Für Weber ist die Diskussion um die Nachtgespräche einerseits „emotionsgeladen“, andererseits besagen (nicht veröffentlichte) ANALysen, dass im Durchschnitt nur 54 Hörer versucht haben sollen, die 2254-Nachtgespräche anzurufen. Kommunikationspsychologisch aufschlussreich war die von Weber verwendete Metaphorik: „Nach 20 Jahren muss man irgendwas auch mal renovieren… Wenn wir irgendwo 20 Jahre gewohnt haben, dann nehmen wir auch einen Pinsel in die Hand.“ Ob hier das Ergebnis der Denkpause über den Sommer bereits vorweg genommen wird? Denn schließlich umfasst der Begriff des Renovierens mehrere Optionen: Man kann etwas lieb Gewonnenes restaurieren, es sogar erweitern, vergrößern, ja es herausputzen und im neuen Glanz erscheinen lassen. Doch wer nur seinen Blick auf den „Pinsel“ richtet, der scheint sich ganz aufs „Streichen“ der Nachtgespräche zu konzentrieren.

Auch die von Gisela Steinhauer vorgetragenen Facebook-„Stimmen“ (1:43) namhafter Persönlichkeiten kritisieren den Wegfall der Nachtgespräche. Den Vorschlag, dieses Beteiligungsformat in die Wortnacht des Deutschlandfunks zu verlegen, wird von Weber nicht ernsthaft erwogen.

Auch der Verlauf, den das Gespräch mit Herrn Hemsing (5:18) vernommen hat, liefert bedauerlicherweise weder einen Anlass für Zweckoptimismus noch für einen Hoffnungsschimmer. Im Gegenteil: Wer seine Ohren spitzt und Herrn Weber ganz genau zuhört, der wird erkennen, dass in der Sommer- und Denkpause möglicherweise eine „adäquate Form“ gefunden wird. Und wenn Weber „ganz ehrlich“ „eine andere Form“ finden will, dann bedurfte es eines Nachhakens der Moderatorin, die – und es war eben nicht Andreas Weber – den Begriff „Nachtfalter“ in die Runde warf. Und erst auf diesen Einwurf gestand Weber, dass man diesen Begriff diskutiert hatte, und für Samstagnacht eine längere Strecke von drei Stunden im Blick habe… Überzeugung hört sich anders an und es ist zu befürchten, dass am Ende der sommer- und Denkpause die Freunde der Nachtgespräche mit einer bösen „Überraschung“ konfrontiert werden. So erinnern wir an jene Sendung der Nachtgespräche mit Herrn Heimendahl, in der er seine Präferenz für eine zukünftige Ausrichtung einer Hörerbeteiligung unverblümt zu erkennen gab (2:13): Treue, Ehrlichkeit und andere „persönliche Themen“ mit einer großen Initimität haben für Herrn Heimendahl offensichtlich einen höheren Stellenwert als die durchwachsene demokratische Qualität von Sendungen, die als „nicht gelungen“ empfunden worden sind. Diese Kanalisierung der Hörerbeteiligung auf rein persönliche Themen mag von der Führungsetage des Deutschlandradios möglicherweise als Königsweg auserkoren  worden sein, ein demokratischer ist dieser Irrweg freilich nicht. Wer die demokratische Qualität in der Medien- und Informationsgesellschaft verbessern will, der sollte vor allem über die Fähigkeit verfügen, auch Ansichten, Meinungen, Vorschläge tolerierend zu Wort kommen zu lassen, die nicht dem Mainstream entsprechen. Herrn Heimendahl sei das Interview mit dem Journalisten und Moderator Dieter Kassel empfohlen, in dem Dietmar Kassel ein Beispiel für eine „nicht gelungene“ Sendung anführt, das gewiss nicht dem Themenfeld der Politik zugeordnet werden kann. Es ging um das Thema „Allergien“ und eine Hörerin, die durchgestellt wurde, überraschte den Moderator und die eingeladene Ärztin mit der Ansicht, es handelt sich hier beim Heuschnupfen um „eine Strafe Gottes“.

Wie dieses amüsante Beispiel belegt, gibt es jenseits versuchter thematischer Einschränkungen stets auch bei persönlichen Themen die „Gefahr“ inhaltlicher Entgleisungen. Doch dieser Gefahr souverän und mit Humor zu begegnen, liegt im durch Bodenhaftung im jahrelangen Umgang mit Hörern entstandenen Vermögen der Moderatoren. Und hier ist den Moderatoren der Nachtgespräche allerhöchste Anerkennung vorbehaltlos auszusprechen. Jedenfalls geht es bei der Sicherung der Hörerbeteiligung – egal ob unter dem Titel der „Nachtgespräche“ oder unter dem des „Nachtfalters“ – nicht darum, ein Quassel-Format zu entwickeln, damit die Hörer „Stimmen hören in der Nacht etc.“ (so Weber O:28 in der Antwort auf Herrn Hemsing). Es geht darum, sein Gegenüber, seinen Kunden, seine Auftraggeber als Mensch und Gesprächspartner auf gleicher Augenhöhe ernst zu nehmen. Dieses „ernst nehmen“ spiegelt sich auch darin wieder, ob das Themenangebot die Vielfalt gesellschaftlicher Wirklichkeit(en) auch tatsächlich widerspiegelt. Wenn nur in der Samstagnacht für die Zuschauer von Domian eine Radio-Alternative geboten werden soll, dann ist das jedenfalls keine adäquate Alternative, sondern eine Mogelpackung, mit der die Freunde der Nachtgespräche für dumm verkauft werden sollen. Ob sich diese Einschätzung bewahrheitet? Der freudsche Versprecher von Andreas Weber am Ende der Sitzung, der (am liebsten) „reinhauen“ will, nachdem zuvor auch Frau Ellwert aus Berlin an die Nachtgespräche erinnerte, steht hoffentlich nicht symbolisch für den zukünftigen Umgang mit der Hörerbeteiligung bzw. mit uns als Hörern.

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